Berndorf 07 - Trotzkis Narr
Hand, denn der Kellner will die Bestellung aufnehmen, Berndorf ordert den Heilbutt und lässt sich einen trockenen Weißwein empfehlen, und während das geschieht, rechnet er kurz die Wahrscheinlichkeiten durch: Der Senatsangestellte GM 1 geht regelmäßig in dieselbe Sauna und wohnt in der Straße, in der der Büchernarr GM 2 ebenso regelmäßig beim immer selben Italiener einkehrt – wie sicher darf man da sein, dass GM 1 und GM 2 identisch sind? Er hat bestellt und wendet sich wieder seinen Nachbarn zu.
»Giselher Marcks ist doch Senatsangestellter, nicht wahr?«, fragt er und versucht, seine Stimme freundlich und arglos klingen zu lassen. Ja, meint die Rothaarige, »irgendetwas in der Art, aber das ist für ihn nie ein Thema gewesen, für ihn zählen nur die Bücher …«
»Das darfst du aber nicht laut sagen, wenn die Anneliese dabei ist«, wirft ihr Gegenüber ein.
Schluss mit dem Geplauder, denkt Berndorf und nennt die Adresse. »Da wohnt er doch?«
Als Erste schrickt die Frau auf. »Warum fragen Sie? Was ist mit ihm?« Mit Zeitverzögerung reagiert auch ihr Begleiter. »Hören Sie, über unsere Freunde wollen wir uns eigentlich nicht ausfragen lassen.« Er greift nach seinem Glas, aber in dem ist nichts mehr drin.
Berndorf fasst ihn ins Auge. »Ein Mann mit diesem Namen ist gestern Abend getötet worden. Er war 57 Jahre alt, Senatsangestellter und wohnte in dieser Straße. Es sollte mir sehr leidtun, wenn es sich um Ihren Freund handelt.« Er nickt den beiden zu und lehnt sich zurück, denn der Kellner bringt die Karaffe Wein und das Mineralwasser, das er sich zusätzlich bestellt hat, und schenkt ein. Als der Kellner sich zurückzieht, blickt Berndorf wieder auf und in die großen geweiteten Augen der Rothaarigen. Sie hält sich die Hand vor den Mund. Noch immer hat ihr Begleiter das leere Weinglas in der Hand.
L ichter spiegeln sich auf regennassen Straßen. Im Takt schieben die Scheibenwischer das Wasser von der Frontscheibe. Wenn ihm ein Wagen entgegenkommt, gischtet ein ganzer Schauer Drecksbrühe gegen das Seitenfenster, irgendwann wird das Pflaster nicht mehr halten. Wohin ist er gefahren? Irgendwie nach Norden. Schönwalde und Bötzow und Vehlefanz heißen ein paar von den Käffern, durch die er gekommen ist, inzwischen hat er es aufgegeben, sich die Namen zu merken. Vehlefanz kann schon nicht stimmen. Im Handschuhfach vorne rechts liegt eine Straßenkarte. Aber was er sucht, ist auf keiner Straßenkarte zu finden.
Und in den Käffern? Da brennt überall Licht. Es ist Samstagabend. Die braven Leute haben ihr Bad genommen, ihr warmes, ihr heißes Bad, mit allerhand Badesalz und Schaum und parfümierter Seife, und jetzt sitzen sie warm und parfümiert und mit reichlich Flaschenbier versehen vor der Glotze. Aber wenn irgendwo ein Häuschen steht, in dem kein Licht brennt, dann sind die Nachbarn nah genug dran, um vom Flaschenbier aufzuschrecken, wenn da jemand ein wenig eine Tür aufbrechen will. Lange kann er so nicht weiterfahren. Irgendwann kommt ihm ein Streifenwagen entgegen, und wenn dem das Nummernschild auffällt und das verklebte Seitenfenster dazu, dann kann er die nicht einfach wegwinken, als wäre er der von den Toten auferstandene Jonas Regulski.
Allmählich weitet sich die nachtschwarze Ödnis. Dazwischen Wald. Hügelkuppen, Talsenken. Der Scheinwerfer erfasst einen rechts abbiegenden Weg, einen Wegweiser dazu gibt es nicht. Er ist schon daran vorbeigefahren, als er abbremst und zurückstößt und die Abzweigung nimmt. Der gekieste Fahrweg führt auf eine Anhöhe, die dunkel von Wald gesäumt ist. Nach einer Rechtskurve holen die Scheinwerfer die Umrisse einer spitzgiebligen Scheune mit vorkragendem Dach aus der Dunkelheit, soviel Harlass sehen kann, steht die Scheune allein am Waldrand, nirgends ein Bauernhof, der dazugehört oder sonst ein Menschenlicht.
Er hält vor der Scheune, steigt aus und sieht sich um. Das Scheunentor ist mit einem Vorhängeschloss gesichert, Harlass geht zum Kofferraum und findet in dem Werkzeugkasten, was noch besser ist als ein Stemmeisen: nämlich einen Bolzenschneider mit Teleskop-Griff, und dann ist das Vorhängeschloss auch schon geknackt. Das Scheunentor lässt sich aufschieben, Harlass tritt ein, das Licht der Stablampe auf einen kleinen dünnen Strahl gedimmt. Der Scheunenraum ist langgestreckt und mit Leiterwagen vollgestellt, aber an der rechten Wand verläuft eine Viehtränke, also war das einmal ein Stall, vielleicht einer, der nur in den
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