Berndorf 07 - Trotzkis Narr
spekulieren, erklärte die Leitende Staatsanwältin Dagmar Wohlfrom-Kühn. Sie bestätigte aber, dass es im Fall Giselher M. einen Tatverdächtigen gebe, einen 26jährigen, der wegen eines Gewaltdelikts vorbestraft sei. Auf die Frage, ob die Verbrechen möglicherweise einen politischen Hintergrund haben, antwortete die Staatsanwältin, zum gegenwärtigen Zeitpunkt schließe sie gar nichts aus …«
Es klingelt, Berndorf legt die Zeitung weg, geht zur Tür und lässt Tamar Wegenast herein und mit ihr einen Windstoß frischer Luft. »Brüten Sie schon wieder über irgendwelchen Zeitungen?«, erkundigt sie sich und setzt sich auf den Besucherstuhl. »Das ist ein merkwürdiger Fall, der Ihnen da zugelaufen ist. Im Grunde hat er keine Substanz, aber es kleben zwei Morde daran.«
»Warum keine Substanz?«
»Es tut mir leid, aber ich weiß beim besten Willen nicht, was diese Frau eigentlich will.« Tamar legt den Kopf ein wenig schief und äugt über den Schreibtisch zu Berndorf. »Niemand stellt ihr nach, und im Übrigen scheint sie erstklassige Beziehungen zu haben, so dass sie uns gar nicht braucht. Vielleicht hat sie einfach einen Hang zu älteren, ein wenig mürrischen Männern.«
Berndorf gibt den Blick zurück. »Erstklassige Beziehungen?«
»Gewiss doch. Ist eine Leitende Staatsanwältin das nicht? Eine Leitende Staatsanwältin, die womöglich auch noch die nächste Regierende Bürgermeisterin wird?« Sie wischt sich eine Strähne ihrer langen Haare aus dem Gesicht. »Diese Oberschicht-Schnepfe ist gestern Morgen von ihrem Feine-Leute-Häuschen in die Stadt gefahren, nach Mitte, zu einer Feine-Leute-Residenz in der Nähe vom Gendarmenmarkt, so fein, dass die Leute gar keine Namensschilder draußen haben, und wenn man rein will, muss man wie in Paris die Code-Nummer kennen … Um ein Haar hätte ich sie verloren. Sie kam nicht aus der Tür, sondern fuhr mit jemand anderem weg, ich wusste erst nicht, wer es war. Ich hatte nicht damit gerechnet, verstehen Sie?«
»Womit nicht gerechnet?«
»Dass es jemand vom Fach ist. Ich sah die beiden nur eben so, als dieser Benz an mir vorbeirauschte, aber ich begriff immerhin, da am Steuer sitzt jemand, den man schon in der Zeitung oder im Fernsehen gesehen hat. Gedämmert hat es mir aber erst, als sie auf diesen Waldparkplatz gefahren und in den Streifenwagen umgestiegen sind. Ich frage mich nur, was ist an dieser Frau – erst ist der Mann Zeuge oder ein Beinah-Zeuge von dem einen Mord, und keine sechsunddreißig Stunden später wird sie selbst an den nächsten Tatort gefahren. Offenbar hat sie Ihnen nicht alles gesagt.«
»Damit müssen wir leben.« Berndorf hebt die eine Hand und lässt sie wieder fallen. »Klienten sagen nie alles. Und offenbar gibt es Gründe genug, warum sich Leute für diese Karen Andermatt interessieren könnten.«
»Also?«
»Ich möchte, dass Sie weiter auf sie aufpassen. Dass Sie abklären, ob irgendjemand sie observieren will.«
»Sie wissen, was Sie da von mir verlangen?« Tamar betrachtet ihn aus schmalen Augen. »Diese Karen Andermatt gluckt mit der politisierenden Staatsanwältin Wohlfrom-Kühn zusammen. Die wiederum hat entweder schon Polizeischutz oder wird ihn bekommen, jedenfalls jetzt, nach diesem Mord an dem Polizisten. Ich kann auf die Andermatt nicht aufpassen, ohne dass ich irgendwann einem der Personenschützer auffalle. Und ich möchte nicht in der Zeitung lesen, auf die Wohlfrom-Kühn sei eine Privatdetektivin angesetzt worden.«
»Selbstverständlich halten Sie sich von dieser Staatsanwältin fern«, meint Berndorf. »Ich will nur, dass Sie ein Auge auf das Haus der Andermatts haben. Und auf das, was sie sonst so tut.«
»Diese Frau trickst«, stellt Tamar fest. »Sie spielt ein Spiel. Darauf können – darauf dürfen wir uns nicht einlassen. Nicht bei einem Fall, bei dem links und rechts plötzlich Tote herumliegen. Geben Sie den Auftrag zurück!«
»Warum sollten wir das tun?«, fragt Berndorf. »Weil es womöglich um eine heiße Kiste geht? Ja doch, einer der beiden Toten ist Polizist – da drehen die Kollegen hohl, das kennen wir. Aber ist das ein Grund, eine Klientin wegzuschicken?«
»Sie sind ein Romantiker«, stellt Tamar fest. »Das waren Sie schon immer. Kann man nicht mehr ändern. Aber dieses Spiel, bei dem Sie mitmischen wollen – haben Sie wenigstens eine Ahnung oder einen halbwegs konkreten Hinweis, worum es da geht?«
»Mitmischen ist zu viel gesagt. Und Hinweise?« Berndorf tippt auf die Zeitung.
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