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Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Berndorf 07 - Trotzkis Narr

Titel: Berndorf 07 - Trotzkis Narr Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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brauchst, geh ich jetzt mal. Ich hab dann nichts gesehen, nichts und niemand.«
    D er Blog, den Berndorf auf den Bildschirm seines Laptops geholt hat, ist kunstlos gemacht: eine rote Leiste, darin weiß eingeblendet »acht 21«, darunter die Unterzeile: »Nachrichten zum Fortschreiten der Zeit«. Keine Bilder, schon gar keine abrufbaren Filmsequenzen, die einzelnen Einträge ohne Überschrift, nur mit dem Datum versehen. Der Beitrag, den Berndorf gerade aufgerufen hat, befasst sich mit der französischen Militärintervention in der zentralafrikanischen Republik Mali:
    »Es ist kein Zufall, dass die ersten Toten auf französischer Seite Fremdenlegionäre waren, sondern es tritt hier ein tieferer Zusammenhang zu Tage. Der wiedererwachte französische Kolonialismus muss heute ebenso wie in den finstersten Zeiten des 19. Jahrhunderts bemüht sein, die Blutopfer für seine Raubzüge vor den französischen Werktätigen zu verschleiern …«
    Berndorf kann das Wort Werktätige nicht leiden und ruft den nächsten Beitrag auf, der diesmal vom syrischen Bürgerkrieg und einer möglichen ausländischen Intervention handelt. Soweit er es versteht, handeln diesmal sowohl der Westen als auch Russland perfide, die einen, weil sie eine Intervention wollen, und Russland, weil es diese nicht will. Zum Glück klingelt es an der Tür seines Büros, er öffnet, vor der Tür steht Tamar. »Kurzer Bericht gefällig?«
    Berndorf gibt zurück, dass er kurze Berichte schon immer gerne gehört habe, und nimmt Tamar den Mantel ab. Als sie bei seinem Schreibtisch angekommen ist, wirft sie einen ungeniert neugierigen Blick auf den Bildschirm. »Was haben Sie da Schönes?«
    »Einen Blog.« Er schließt das Programm. »Darüber, wer daran schuld ist, wie es in der Welt so zugeht.«
    Das würde sie eigentlich auch gerne wissen, meint Tamar und setzt sich.
    »Das kann man natürlich nicht mit zwei oder drei Worten erschöpfend beantworten«, meint Berndorf. »Schuld sind jedenfalls die Russen, die Amerikaner und der Kapitalismus überhaupt, den französischen Kolonialismus nicht zu vergessen, die Versöhnler, Revisionisten und stalinistischen Speichellecker sowieso nicht. Ich sagte ja, mit zwei oder drei Worten kommt man nicht aus.«
    »So ungefähr stelle ich mir das auch vor«, kommentiert Tamar. »Nur die deutsche Bundesregierung fehlt. Und das mit den Speichelleckern habe ich auch nicht ganz verstanden. Aber wenn Sie so bedeutende Dinge wälzen – sind Sie da überhaupt noch an Carmencita interessiert? Oder ist das Schnee von gestern?« Berndorf hebt eilends beide Hände als Zeichen, dass er – gewiss doch! – brennend interessiert sei, und Tamar berichtet von ihren Gesprächen.
    »Es steht also fest«, fasst sie ihren Bericht zusammen, »dass Leute unbefugt in diesen Neubau eingedrungen sind und Spuren hinterlassen haben, die der Chef der Baufirma beseitigen ließ. Und wenn man den Estrich noch einmal neu machen oder neu ausstreichen muss, dann ist von irgendwelchen Anhaftungen danach nichts mehr zu finden.«
    »Was haben Sie diesem Architekten vorgelogen? Diese Carmencita sei am 8. November noch gesehen worden?« Berndorf runzelt die Stirn. »Warum?«
    »Dieser Architekt ist ein eitler alter Mann.« Tamar wirft einen langen, prüfenden Blick auf Berndorf. »Eitle alte Männer setzen sich gerne in Szene. Man muss ihnen nur einen Vorwand dafür anbieten. Den Vorwand habe ich ihm geliefert. Er kann sich jetzt einbilden, mit seiner Auskunft habe er den Beweis erbracht, dass Carmencita jedenfalls nicht in diesem seinem Neubau zu Tode gekommen ist. Trotzdem habe ich absolut keinen Hinweis darauf, was dieser Regulski mit dem Fall zu tun haben könnte, außer … Was haben Sie?«
    Berndorf hat schon wieder einen Zettel genommen, um etwas darauf zu notieren. »Wissen Sie, wie der Chef dieser Baufirma hieß?«
    »Gewiss doch.« Tamar will nach ihrem Notizbuch greifen, aber da hält ihr Berndorf schon den Zettel hin. Sie wirft einen Blick erst auf den Zettel und dann auf Berndorf.
    »Bingo«, sagt sie. »Aber müssen Sie das so inszenieren?« Berndorf unterdrückt ein Grinsen.
    F inklin hat die Schreibtischlampe eingeschaltet und macht sich daran, eine neue Zigarette zu drehen. Harlass sieht ihm zu und beobachtet das Spiel der beiden schweren kräftigen Hände, deren grobknochige Finger behutsam die Tabakrolle im aufgefalteten Papier drehen und modellieren. Unwillkürlich tastet er nach der noch immer spürbaren Schwellung unter seinem Auge.

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