Berndorf, Jacques (Hrsg)
meinte er.
Dass er sich da mal nicht täuscht.
XVII.
Als ich alleine war, habe ich sie noch einmal angesehen. Sie liegt gut in der Hand. Sie hat eine Trommel mit Platz für fünf Patronen. Spannt man den Hahn, so wird durch die Drehung der Trommel eine neue Patrone vor den Lauf geschoben. Drückt man den Abzug, so explodiert die Treibladung in der Hülse und schickt das Projektil auf die Reise. Sie sieht gar nicht so gefährlich aus. Aber man kann mit ihr töten.
Man muss es nur richtig anstellen.
XVIII.
Es ist fix. Sie sind sich einig. Sie wollen über die Vorstandssitzung hereinbrechen wie die Reiter der Apokalypse. Zwei Männer, die wahllos auf jeden schießen, der sich im Raum befindet.
Der Neue will zwei Automatik-Waffen und zwei Trommelrevolver besorgen. In Belgien sei das kein Problem. Dort erhalte man auf nahezu jedem Flohmarkt Waffen. Und in diesem Fall sei es sogar egal, wenn sie heiß seien.
Ich werde mir das nicht ansehen. Keinesfalls werde ich zum Mitwisser eines solchen Verbrechens. Ich werde handeln, aber ich werde nicht zur Polizei gehen. Wenn der Neue sich auf den Weg macht, werde ich handeln.
XIX.
Heute Nacht. Heute Nacht ist der richtige Zeitpunkt. Der Neue will nach Belgien fahren. Dann werde ich die Waffe an mich nehmen. Ich weiß, wie sie geladen wird. Im Dunkel der Nacht werde ich an sein Bett treten. Es ist vielleicht nicht so einfach, wie man glaubt. Es ist überhaupt nicht einfach, auf einen Menschen zu schießen. Man muss entschlossen sein, diese Schwelle zu überschreiten. Aber ich trage die Verantwortung. Nicht nur für einen Menschen.
Ich werde die Waffe an seine Schläfe setzen. Nein, besser werde ich sie kurz vor seine Schläfe halten. Damit er nicht aufwacht.
Dann werde ich den Finger krümmen...
XX.
Die Ärzte sagen, es sei nicht so schlimm, wie es aussieht. Sie würden mich wieder auf die Beine bringen. Ich hätte – Gott sei Dank – die Waffe zu schräg angesetzt. Die Kleinkaliberkugel sei so vom Knochen am tödlichen Eindringen ins Gehirn gehindert worden. Ich hätte versucht, mir das Leben zu nehmen, sagen sie.
Wie? Ich mir ... das Leben nehmen? Wieso?
XXI.
Sie lesen meine Gedanken wohl an meinen Augen ab. Ich leide unter einer Spaltung der Persönlichkeit, sagen sie. Meine plötzliche Freistellung hätte ich nicht verkraftet. Mit Freistellung meinen sie meine Entlassung, meinen Rauswurf. Nach mehr als sechsundzwanzig Jahren in der Firma haben die mich rausgeworfen. Einfach so. Wie man Abfall auf einen Müllhaufen wirft. Das hätte ich nicht verkraftet, meinen die Ärzte. Ich hätte mit dem Trinken begonnen. Und meine Persönlichkeit habe sich gespalten, sagen sie. Ich hätte im Alltag weiter so getan, als ginge ich regelmäßig zur Arbeit, hätte die Zeit aber in Parkanlagen verbracht. Auch meine Vorstandstätigkeit beim Verband der Sportschützen habe mich nicht aufgefangen, sagen die Weißkittel.
Aber ich hätte gute Aussichten, wieder gesund zu werden. Zunächst würden sie mich medikamentös einstellen. Danach würde dann eine Therapie beginnen. Sobald ich wieder sprechen könne. Dann solle ich alles über unsere WG erzählen.
XXII .
Sie lesen die Angst von meinen Augen ab. Nein, sagen sie, meine beiden Mitbewohner könnten mir nichts zuleide tun. Solange die Medikamente verabreicht würden, seien sie unter Kontrolle. Wenn die wüssten ... Seit zwei Wochen sind die beiden wieder da. Sie trinken jetzt nicht mehr, aber sie sitzen jede Nacht an meinem Bett. Sie schmieden wieder ihren alten Plan ... und dieses Mal wollen sie, dass ich dabei mitmache ...
Nach Kaltenborn
von Horst Eckert
Gierig sog Rabe die morgendlich kühle Herbstluft ein, als er mit seiner Tasche nach draußen trat. Die Freiheit inhalieren – fünf Jahre lang hatte er diesen Moment herbeigesehnt. Dann fiel sein Blick auf Rita, die Blonde aus Bergheim, die ihren Opel-Corsa vor den Fahrradständern geparkt hatte. Sie hatte ihn nicht enttäuscht.
Er war sich nicht sicher, wie er sich verhalten sollte. Ein Händedruck – er spürte, dass sie ähnlich befangen war. Rabe stieg zu seiner neuen Freundin ein.
Sie startete den Motor und sagte: »Der Bewährungshelfer hat dir in Bonn ein Apartment besorgt.«
In Bonn hatte er zuletzt gewohnt. Er hatte auch schon überlegt, bei ihr einzuziehen. Rita. Gewelltes Blondhaar, am Ansatz dunkel. Eine gute Figur, fand Rabe, zumindest an den Stellen, die wichtig waren. Und ein Profil, das Entschlossenheit ausstrahlte – diese Eigenschaft hatte er
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