Berndorf, Jacques (Hrsg)
erzählen. Von einer ähnlichen Unglücksserie in Napoli, die fast in eine Katastrophe von nationaler Bedeutung gemündet hätte. Wenn er nicht gewesen wäre! Er, Salvatore ... Er erzählte von dem fürchterlichen Sturm, der sich quasi aus dem Nichts erhoben und sein Schiff gegen einen Felsen geschmettert und halb zerstört hatte. Von dem Touri, der kurz darauf in der blauen Grotte einem Herzanfall erlag. – »Vielleicht litt er an einer Blaulicht-Allergie«, spottete Rudi und verdrückte sich an die Theke, vermutlich, weil er die Geschichte des Alten als lächerliches Seemannsgarn abtat. Max hingegen hörte aufmerksam zu und nickte gelegentlich mit dem Kopf, wie um sich selbst zu bestätigen, dass es derlei Dinge tatsächlich gab.
Davon angefeuert, kam Salvatore erst recht in Fahrt: Da war auch noch dieser Mafioso gewesen, der bald nach dem Tod des Touris jemanden vom gegnerischen Clan hätte umlegen sollen und stattdessen versehentlich dem Sohn des eigenen Paten in den Hintern schoss. So dass der arme Kerl drei Wochen nicht mal auf Daunenkissen sitzen konnte. »Und zuletzt ...« Allein bei der Erinnerung fröstelte Salvatore trotz der sommerlichen Schwüle; schaudernd blickte er sich um, wagte kaum laut auszusprechen, was weiter geschehen war: »Und zuletzt ...
a muntagna
! Der Berg!«
»Äh«, sagte Max wenig geistreich, denn der Sprung vom Mafioso-Allerwertesten in die süditalienische Bergwelt war für sein Löwenbräu-benebeltes Hirn zu überraschend erfolgt.
Salvatore wurde ungeduldig. »Vesuvio!« Erklärend fuchtelte er mit den Händen, bis er fast Max’ Nase erwischte.
»Moment!«, sagte Max. »Du willst nicht behaupten, dass euer Vesuv durch einen Jonas ...?! Wann soll das denn passiert sein?«
»Ausgebrochen ist er nicht ... Nicht richtig ...« Wieder spähte Salvatore nervös über die Schulter, schien eine Weile zu überlegen, ob er überhaupt wagen durfte weiterzusprechen, und fuhr endlich in furchtsam gedämpftem Ton fort: »Den Ausbruch, also, den konnten wir im letzten Augenblick gerade noch verhindern, mein Bruder Gigi und ich, der Madonna sei Dank! Aber geraucht hat er bereits, der Vesuvio, du hättest sehen sollen, wie er gequalmt hat! Und der Krater stank nach Schwefel wie die Hölle, als würde im nächsten Moment der Leibhaftige herausspringen! Die Erde bebte täglich, nicht bloß so läppisch leicht, sondern richtig massiv, wie von einer zornigen Riesenfaust geschüttelt! Unser Haus dort unten trägt den Riss noch heute, quer durch die Küche ... Die eine Hälfte der Menschen rannte in die Kirchen, um Kerzen zu stiften und San Gennaro um Hilfe anzuflehen, und die andere Hälfte floh aus der Stadt, aus Angst vor der Katastrophe ... Landratten, natürlich ... Sie wussten nichts von dem Jonas!« Der Italiener beugte sich vor, dass Max seinen Wein-Atem riechen konnte und wisperte jetzt nur noch: »Der Hafenmeister war’s damals, er ganz allein!« Krachend landete dann plötzlich seine Faust auf dem Tisch, dass die Gläser zitterten. »Und hier, in der Eifel, könnte das Gleiche passieren, oder Schlimmeres! Die Leute wähnen sich in Sicherheit, aber auch ihre Vulkane sind nicht tot, sie schlafen lediglich, wie Vesuvio schläft! Feuerberge haben einen gefährlich leichten Schlaf ... Und wenn ein Jonas, du verstehst, ein richtig starker Jonas ...!«
Max starrte den Pizzabäcker an, und plötzlich trat etwas in seine Augen, ein merkwürdiger Ausdruck, der nicht allein dem reichlichen Biergenuss zuzuschreiben sein konnte ... Es war, als hätte sich plötzlich ein gänzlich überraschender, beunruhigender Gedanke in sein Hirn gestohlen ... Mühsam stand er auf, ohne sich darum zu kümmern, dass er versehentlich Salvatores Glas vom Tisch stieß. Und seine Blicke bohrten sich in Rudis Rücken wie Messerklingen.
Abends, in der Dreizimmerwohnung in der Prümer Straße, die Rudi und Max sich seit dem Auszug der schönen Gisela alleine teilten, warf sich Rudi mit einem Whisky auf das Sofa und lachte.
»Dieser Salvatore gefällt mir von Tag zu Tag mehr! Besser als Fernsehen! Allerdings – so ganz durchgeblickt hab ich nicht bei seinem Geschwafel. Was ist das für eine Räubergeschichte mit dem Jonas?«
»Mei«, sagte Max zögernd. »Das ist so ein Seefahrer-Aberglaube. Ein Jonas – ist einfach ein Unglücksbringer ...«
»Voodoo-Zauber? Jemand, der selbstgehäkelte Püppchen mit Akupunkturnadeln quält?«
Max schüttelte den Kopf. »Nein. Ein Jonas ist fast immer ein reales Wesen. Die
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