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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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zugänglicher sein? Ich dachte gerade daran, zurückzukehren und ihn zu holen, als ich vom Gasthaus her mehrere Pistolenschüsse hörte. Ich machte die Leine los, warf den Motor an und zog die Waffe aus meiner Tasche. Mit der anderen Hand hielt ich mich am Anleger fest, um das Boot nicht abtreiben zu lassen. Sekunden später hörte ich eine weitere Folge von Schüssen und dann ein Geräusch, das sich anhörte, als arbeite am Heck des Bootes ein Niethammer. Ich drückte den Gashebel nach vorn und drehte vom Anleger ab. Ich zuckte vor Schmerz zusammen und blickte auf meine Hand in dem Glauben, ich sei getroffen worden, doch statt dessen ragte ein riesiger Holzsplitter vom Anleger aus der Innenfläche meiner Hand. Ich brach den größten Teil davon ab, drehte mich um und verfeuerte meine restlichen Kugeln auf die Gestalten, die jetzt auf dem zurückbleibenden Anleger auftauchten. Zu meiner Überraschung warfen sie sich selber auf ihre Bäuche. Aber hinter mir hatte etwas das Feuer eröffnet, das ein wenig durchschlagskräftiger war als eine Pistole. Es war bloß ein Warnschuß, doch das schwere Maschinengewehr schickte seine Geschosse wie metallische Regentropfen durch die Bäume und das Holz des Anlegers, riß Splitter ab, kappte Äste und zerfetzte das Blattwerk. Wieder nach vorn blickend, hatte ich gerade noch Zeit, das Gas wegzunehmen und der Polizeibarkasse auszuweichen. Dann stellte ich den Motor ab, hob instinktiv die Hände hoch über den Kopf und ließ dabei meinen Revolver auf den Boden des Bootes fallen. Erst jetzt bemerkte ich das säuberliche rote Kastenzeichen mitten auf Gretes Stirn, aus dem jetzt ein haarfeines Rinnsal von Blut sickerte, das ihre leblosen Züge halbierte.
    18
    Wenn man Zeuge der systematischen Zerstörung eines anderen menschlichen Geistes wird, hat das eine vorhersehbare niederdrückende Wirkung auf den eigenen Charakter. Ich glaube, das war es, was sie beabsichtigten. Bei der Gestapo ist alles durchdacht. Sie lassen dich die Qualen eines anderen belauschen, um dich innerlich weichzumachen; und erst dann fangen sie an, deine Außenseite zu bearbeiten. Nichts ist schlimmer als ein Zustand gespannter Erwartung, was geschehen wird, ob es nun das Warten auf die Ergebnisse von Tests in einem Krankenhaus ist oder das Warten auf das Henkersbeil. Du möchtest es bloß noch hinter dich bringen. In gewisser Weise war das eine Technik, die ich am Alex selber angewendet hatte, wenn ich verdächtige Personen so lange schmoren ließ, bis sie sich in einem Zustand befanden, in dem sie dir alles erzählten. Wenn man auf etwas wartet, setzt sich die eigene Einbildungskraft in Bewegung und schafft die private Hölle.
    Doch ich war mir nicht darüber klar, was sie von mir wollten. Wollten sie etwas über Six erfahren? Hofften sie, daß ich wußte, wo sich die Papiere von Greis' befanden? Und was war, wenn sie mich folterten und ich nicht wußte, was sie eigentlich von mir hören wollten?

    Am dritten oder vierten Tag, allein in meiner schmutzigen Zelle, begann ich mich zu fragen, ob sie mich aus Selbstzweck leiden ließen. Ein anderes Mal zerbrach ich mir den Kopf darüber, was aus Six und Helfferich geworden war, die man zusammen mit mir verhaftet hatte, und aus Inge Lorenz.
    Die meiste Zeit starrte ich bloß an die Wände, die für die Unglücklichen, die vor mir in der Zelle gehaust hatten, eine Art Palimpsest waren. Es war indes sonderbar, daß sich kaum Schmähungen der Nazis darauf fanden. Häufiger waren Kritzeleien, mit denen sich Kommunisten und Sozialdemokraten gegenseitig beschuldigten. Immer ging es um die Frage, wer von beiden «umgefallen» und dafür verantwortlich war, daß Hitler die Wahl hatte gewinnen können:
    Die Sozis gaben den Kommunisten die Schuld und umgekehrt.
    Der Schlaf kam nicht leicht. Es gab einen übelriechenden Strohsack, den ich in der ersten Nacht meiner Haft verschmähte, doch als die Tage vergingen und der Gestank aus dem Scheißkübel immer schlimmer wurde, hörte ich auf, so anspruchsvoll zu sein. Erst am fünften Tag kamen zwei SSWachen herein und zerrten mich aus meiner Zelle. Erst jetzt ging mir auf, wie übel ich roch; doch das war nichts, verglichen mit ihrem Gestank: Es war der des Todes.
    Sie schleppten mich durch einen langen, nach Urin stinkenden Gang zu einem Aufzug, der uns fünf Etagen hoch auf einen stillen, mit Teppichen ausgelegten Korridor brachte, der mit seiner Eichentäfelung und den düsteren Porträts von Hitler, Himmler, Canaris, Hindenburg und

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