Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
mich dem Tisch und schnappte angeekelt nach Luft.
«Verdammt noch mal», sagte ich. «Das letzte Mal, als mir so ein übler Körpergeruch in die Nase stieg, lag ich unter einem Pferd.»
«Er sieht aus wie ein Gedicht, nicht wahr? »
«Sie sagen es. Was hat er gemacht, einem Polarbären einen geblasen? Oder hat Hitler ihn geküßt? » «Ungewöhnlich, oder? Fast so, als wär der Kopf verbrannt worden.»
«Säure? »
«Ja.» Illmann schien erfreut, als ob ich ein gelehriger Schüler wäre. «Sehr gut. Ist schwer zu sagen, welche Säure, aber höchstwahrscheinlich Salzsäure oder Schwefelsäure.» «Als hätte jemand nicht gewollt, daß man ihn identifizieren kann.»
«Genau. Wohlgemerkt, das verschleiert die Todesursache nicht. Man hat ihm einen abgebrochenen Billardstock in ein Nasenloch gerammt. Er durchstieß das Gehirn und tötete ihn auf der Stelle. Eine ungewöhnliche Methode, einen Mann umzubringen; nach meiner Erfahrung tatsächlich beispiellos. Nun ja, man lernt, sich durch die verschiedenen Methoden nicht überraschen zu lassen, die Mörder sich ausdenken, um ihre Opfer umzubringen. Aber ich bin sicher, daß Sie nicht überrascht sind. Für einen Polypen hatten Sie immer eine rege Phantasie, Bernie. Von Ihren Nerven ganz zu schweigen. Sie wissen, es gehören verdammt gute Nerven dazu, hier einfach so hereinzuspazieren. Es ist bloß meine sentimentale Ader, die mich davon abhält, Sie auf die Straße setzen zu lassen.»
«Ich muß mit Ihnen über den Fall Pfarr reden. Sie haben die Obduktion gemacht, nicht wahr?»
« Sie sind gut informiert», erwiderte er. « Um die Wahrheit zu sagen, die Familie hat heute morgen die Leichen zurückverlangt.»
« Und Ihr Bericht? »
«Hören Sie, ich kann hier nicht sprechen. Es dauert nicht lange, und ich bin mit unserem Freund hier auf dem Tisch fertig. Geben Sie mir eine Stunde.»
«Wo?»
« Wie wär's mit dem Künstler-Eck, Altkölln. Dort ist es ruhig, und man wird uns nicht stören.»
« Künstler-Eck», wiederholte ich. «lch werd's finden.»
« Oh, und Bernie. Sie denken doch daran, ein bißchen was für meine Unkosten mitzubringen? »
Die unabhängige Gemeinde Altkölln, seit langem von der Hauptstadt geschluckt, ist eine kleine Insel in der Spree. Da sie weitgehend in Museen aufgegangen ist, hat sie sich den Spitznamen « Museumsinsel » erworben. Doch ich muß gestehen, daß ich keines dieser Museen je von innen gesehen habe. Ich bin an der Vergangenheit nicht sonderlich interessiert, und, wenn Sie mich fragen, es ist die Tatsache, daß dieses Land von seiner Geschichte besessen ist, die uns zum Teil dahin gebracht hat, wo wir jetzt sind: in der Scheiße. Sie können nicht in eine Bar gehen, ohne zu hören, wie irgendein Arschloch über unsere Grenzen vor I9I8 labert oder bis zu Bismarck zurückgeht, als wir die Franzmänner fertigmachten. Da sind alte Wunden, und nach meiner Meinung hat es keinen Wert, dauernd darin herumzustochern.
Von außen hatte die Kneipe nichts zu bieten, was den Passanten hätte verlocken können, sie auf ein schnelles Bier zu betreten: nicht die schmuddelige Bemalung der Tür, nicht die vertrockneten Blumen im Blumenkasten; und gewiß nicht das krakelig mit der Hand gemalte Schild im schmutzigen Fenster: Die Rede des heutigen Abends kann hier gehört werden. Ich fluchte, denn das hieß, daß JuPP, der Klumpfuß, heute abend vor einer Parteiversammlung sprach, und das Ergebnis würde das übliche Verkehrschaos sein. Ich stieg die Treppe hinunter und öffnete die Tür.
Das Innere des Künstler-Ecks war noch weniger dazu angetan, den gelegentlichen Trinker zu einem längeren Aufenthalt zu verlocken. Die Wände waren mit düsteren Holzschnitzereien bedeckt - winzigen Modellen von Geschützen, Totenköpfen, Särgen und Skeletten. An der gegenüberliegenden Wand stand, bemalt wie ein Friedhof mit Grüften und Gräbern, denen die Toten entstiegen, ein großes Harmonium, auf dem ein Buckliger ein Stück von Haydn spielte. Doch weder er selbst noch irgendein anderer hatten etwas davon, weil eine Gruppe von SA-Männern mit so viel Hingabe «Mein Preußen steht so stolz und fest» grölte, daß das Spiel des Buckligen fast vollständig übertönt wurde. Ich habe in meinem Leben in Berlin einige ausgefallene Sachen gesehen, doch diese Szenerie hätte in einen Conradt-Veidt-Film gepaßt und beileibe nicht in einen sehr guten. Ich erwartete jeden Augenblick, daß der einarmige Polizeihauptmann hereinkam.
Statt dessen fand ich
Weitere Kostenlose Bücher