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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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nicht.»
    «Ich dachte, Sipo und Gestapo hätten bei der Kripo das Sagen.»
    «Auf der höheren Kommandoebene ist das der Fall», bestätigte Illmann. «Aber auf den mittleren und unteren Ebenen funktionieren die alten verwaltungstechnischen Strukturen immer noch. Auf kommunaler Ebene sind die örtlichen Polizeipräsidenten, die zur Orpo gehören, auch für die Kripo verantwortlich. Aber man munkelt, daß die Orpo-Führung jeden Polizeipräsidenten unter der Hand ermutigt, der bereit ist, den Daumenschrauben-Jungs von der Sipo Knüppel zwischen die Beine zu werfen. Das gefällt unserem eigenen Polizeipräsidenten, hier in Berlin. Er und der Reichskriminaldirektor, Arthur Nebe, hassen sich wie die Pest. Grotesk, nicht wahr? Und nun muß ich wirklich gehen, wenn Sie nichts dagegen haben.»
    «Das ist ja wie bei einem verdammten Stierkampf», sagte ich.
    «Glauben Sie mir, Bernie, seien Sie froh daß Sie raus sind.» Er grinste fröhlich. « Und es kann noch viel schlimmer kommen.»
    Illmanns Informationen kosteten mich hundert Mark. Ich habe nie gefunden, daß Informationen billig zu haben sind, aber in der letzten Zeit scheinen die Kosten für private Nachforschungen zu steigen. Es ist nicht schwer zu erkennen, warum. Heute versucht jeder, auf irgendeine Weise seinen Schnitt zu machen. Korruption in der einen oder anderen Form ist eines der bezeichnendsten Merkmale des Lebens im Nationalsozialismus. Die Regierung hat zahlreiche Fälle von Korruption bei den verschiedenen politischen Parteien Weimars enthüllt, doch diese Fälle waren lächerlich, verglichen mit der Korruption, die es heute gibt. Sie floriert auf höchster Ebene, und jeder weiß es. Folglich glauben die meisten Leute, daß auch ihnen ein Anteil zusteht. Ich weiß von niemandem, der es in diesem Punkt übermäßig genau nimmt. Und mich selbst schließe ich ein. Die schlichte Wahrheit ist, daß die Empfindlichkeit der Leute gegen Korruption, ob es nun darum geht, Lebensmittel vom Schwarzmarkt oder Vergünstigungen von einem Regierungsbeamten zu ergattern, ungefähr so abgestumpft ist wie der Stummel eines Zimmermannsbleistiftes.
    6
    An diesem Abend schien es, als sei fast ganz Berlin unterwegs nach Neukölln, um zu hören, wie Goebbels das Orchester weicher, einschmeichelnder Geigen und scharfer, sarkastischer Trompeten dirigierte, über das seine Stimme gebot. Jenen Unglücklichen jedoch, die den Meister der Propaganda nicht mit eigenen Augen sehen konnten, stand in ganz Berlin eine Anzahl von Einrichtungen zur Verfügung, damit sie wenigstens seine Stimme hören konnten. Neben den Rundfunkempfängern, die es laut Gesetz in Restaurants und Cafes geben mußte, hatte man in den meisten Straßen auf Litfaßsäulen und Laternenpfählen Lautsprecher montiert; und eine Einsatztruppe von Radio-Aufsehern war ermächtigt, an die Türen zu klopfen und die Befolgung der obligatorischen Bürgerpflicht, einer Sendung der Partei zu lauschen, durchzusetzen.
    Auf der Leipziger Straße nach Westen fahrend, begegnete ich den Legionen der Braunhemden, als sie im Schein von Fackeln über die WilheImstraße marschierten, und ich sah mich gezwungen, aus dem Wagen zu steigen und die vorbeigetragene Standarte zu grüßen. Unterließ man das, riskierte man eine Tracht Prügel. Ich schätze, außer mir gab es noch andere in der Menge, die, wie viele Verkehrspolizisten, den rechten Arm ausstreckten, nur um Ärger zu vermeiden, und die sich dabei ein wenig lächerlich vorkamen. Wer weiß? Doch wenn ich's recht bedenke, hat bei den politischen Parteien in Deutschland das Grüßen immer eine große Rolle gespielt: Die Sozialdemokraten hatten ihre geballte, hoch über den Kopf gereckte Faust; die Bolschewiken in der KPD hatten die geballte Faust, bis auf Schulterhöhe gehoben; die Zentristen hatten ihr Handzeichen, bei dem zwei Finger und der hochgestellte Daumen eine Pistole andeuteten; und die Nazis hatten die FingernagelInspektion. Ich kann mich noch daran erinnern, daß wir das alles für ziemlich lächerlich und melodramatisch hielten und es vielleicht deshalb keiner von uns ernst nahm. Und jetzt standen wir da und grüßten, so gut wie jeder andere. Verrückt.
    Die Badensche Straße, die von der Berliner Straße abzweigt, ist bloß einen Block von der Trautenaustraße entfernt, in der ich wohne. Doch damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Das Gebäude Badensche Straße Nummer 7 ist das modernste Mietshaus in der Innenstadt und ungefähr so exklusiv wie ein Bankett

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