Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
kennengelernt habe. Das war es, was ihn zu einem so ausgezeichneten Informanten machte. Man mußte genau hinschauen, um ihn zu erkennen, doch ausgerechnet heute abend war in der X-Bar keine Spur von ihm zu entdekken. Ebensowenig im Allaverdi oder in der Rüeker- Bar am schmuddeligen Rand des Rotlichtbezirks.
Es war noch nicht sehr dunkel, doch die Drogendealer waren bereits aufgetaucht. Wurde man beim Verkauf von Kokain erwischt, kam man ins KZ, und wenn Sie mich fragen, konnten sie von denen gar nicht genug schnappen; aber ich wußte aus Erfahrung, daß das nicht einfach war:
Die Dealer trugen den Stoff nie bei sich, sondern versteckten ihn an einem Ort in der Nähe, in einer abgelegenen Gasse oder Toreinfahrt. Einige von ihnen gaben sich als Kriegsversehrte aus, die Zigaretten verkauften; und einige von ihnen waren in der Tat Kriegsversehrte, die Zigaretten verkauften, und trugen die gelbe Armbinde mit den drei schwarzen Punkten, die es schon in der Weimarer Zeit gab. Diese Armbinde verlieh jedoch keinen offiziellen Status; nur die Heilsarmee erhielt die staatliche Genehmigung, an Straßenecken zu hausieren, doch die Gesetze gegen Landstreicherei wurden nicht überall streng angewandt, außer in den eleganteren Stadtgebieten, welche die Touristen vornehmlich besuchten.
«Sigarren und Sigaretten», zischte eine Stimme. Die, denen dieses « Koks-Signal» vertraut war, antworteten ge-
wöhnlich mit einem lauten Schniefen; oft stellten sie fest, daß sie Kochsalz und Aspirin gekauft hatten.
In die Femina-Bar in der Nürnberger Straße ging man, wenn man nach weiblicher Gesellschaft Ausschau hielt und nichts dagegen hatte, wenn die Damen, zum Vorzugspreis von dreißig Mark, üppig und aufgedonnert waren. Weil sie Tischtelefone hatte, war die Femina-Bar besonders für schüchterne Typen geeignet, also genau der richtige Ort für Neumann, immer vorausgesetzt, daß er ein bißchen Geld hatte. Er konnte eine Flasche Sekt bestellen und ein Mädchen einladen, ihm Gesellschaft zu leisten, ohne sich von seinem Tisch rühren zu müssen. Es gab dort sogar Druckluftröhren, mit deren Hilfe man einem Mädchen am entgegengesetzten Ende des Clubs kleine Geschenke in die Hand blasen konnte. Das einzige, was ein Mann, von Geld abgesehen, in der Femina-Bar brauchte, waren gute Augen.
Ich saß an einem Ecktisch und blickte gelangweilt auf das Angebot. Außer der Liste von Getränken gab es auch eine Liste von Geschenken, die man beim Kellner kaufen und durch die Röhren verschicken konnte: eine Puderdose für eine Mark und fünfzig; ein Behälter für die Streichholzschachtel für eine Mark und Parfüm für fünf Mark. Ich konnte es nicht ändern, aber ich dachte, daß Geld wahrscheinlich das beliebteste Geschenk war, das man zu einem "Partygirl», welches man auch immer im Auge hatte, hinübersausen lassen konnte. Von Neumann war nichts zu sehen, doch ich beschloß, noch eine Weile auszuharren für den Fall, daß er doch noch auftauchte. Ich winkte dem Kellner und bestellte ein Bier.
Es gab so etwas Ähnliches wie ein Cabaret: eine Sängerin mit orangefarbenem Haar und einer Stimme, die wie eine Maultrommel zirpte; und einen mageren, kleinen Komiker mit zusammengewachsenen Augenbrauen, der ungefähr so schlüpfrig war wie eine Oblate auf einem Eisbecher. Daß das Publikum der Femina-Bar an den Darbietungen Gefallen fand, war weniger wahrscheinlich als der Wiederaufbau des Reichstages: Es lachte während der Couplets, es sang, während der Komiker seine Witze machte; und der eine traute dem anderen nicht mehr über den Weg als einem tollwütigen Hund.
Ich blickte mich im Raum um und stellte fest, daß mir so viele falsche Wimpern zuklimperten, daß ich glaubte, einen Luftzug zu spüren. Ein paar Tische von dem meinen entfernt machte mir eine dicke Frau mit fleischigen Fingern Zeichen und begann, meine Grimasse fälschlich für ein Lächeln haltend, sich schwerfällig von ihrem Sitz zu lösen. Ich stöhnte.
« Der Herr wünschen? » Der Kellner reagierte prompt. Ich zog einen zerknüllten Geldschein aus der Tasche und warf ihn auf sein Tablett. Ohne auf das Wechselgeld zu warten, machte ich mich schleunigst aus dem Staub.
Das einzige, was mir mehr auf die Nerven geht als die Gesellschaft einer häßlichen Frau am Abend, ist die Gesellschaft derselben häßlichen Frau am folgenden Morgen.
Ich stieg in den Wagen und fuhr zum Potsdamer Platz. Es war ein warmer, trockener Abend, doch das Grollen am purpurnen Himmel sagte mir. daß
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