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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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Treppe, zog mir Schuhe und Socken aus und dann in umgekehrter Reihenfolge wieder an. Die Strümpfe über die Schuhe zu ziehen ist ein alter Einbrechertrick, um das Geräusch von Ledersohlen auf einem harten Untergrund zu dämpfen. Ich stand auf und begann den langen Aufstieg.
    Als ich in der achten Etage angekommen war, hämmerte mein Herz vor Anstrengung und weil ich so leise atmen mußte. Ich wartete am Treppenabsatz, aber aus keinem der Büros neben dem von Jeschonnek kam ein Laut. Ich leuchtete mit der Taschenlampe beide Enden des Korridors ab und schlich dann bis zu seiner Tür. Ich kniete nieder und suchte nach Drähten, die mir vielleicht hätten verraten können, ob es eine Alarmanlage gab, doch ich fand keine; ich probierte es erst mit dem einen, dann mit dem anderen Schlüssel. Den zweiten konnte ich fast ganz herumdrehen, also zog ich ihn heraus und glättete die Kanten mit einer kleinen Feile. Ich öffnete die Tür, trat ein und verschloß sie hinter mir, falls der Wachmann auf die Idee kommen sollte, seine Runde zu machen. Ich ließ den Lichtkegel der Taschenlampe über den Schreibtisch, die Bilder und hinüber zur Tür von Jeschonneks Büro wandern. Der Schlüssel drehte sich ohne den geringsten Widerstand im Schloß. Im Geist den Namen meines Schlossers mit Segenswünschen überhäufend, ging ich zum Fenster. Die Neon-Reklameschrift auf dem Pschorr-Haus warf einen roten Glanz in Jeschonneks prächtiges Büro, so daß ich die Taschenlampe nicht brauchte. Ich schaltete sie aus.
    Ich setzte mich an den Schreibtisch und begann etwas zu suchen, von dem ich nicht wußte, was es war. Die Schubladen waren nicht verschlossen, doch sie enthielten wenig, was für mich von Interesse war. Ein wenig aufgeregt wurde ich, als ich ein in rotes Leder gebundenes Adreßbuch fand, doch als ich es von vorn bis hinten durchblätterte, war mir nur ein einziger Name ein Begriff: der von Hermann Göring; freilich war er nur über die Adresse eines gewissen Gerhard von Greis in der Derfflingerstraße zu erreichen. Ich erinnerte mich, daß Weizmann, der Pfandleiher, gesagt hatte, der dicke Hermann habe einen Agenten, der in seinem Auftrag zuweilen wertvolle Steine kaufte; also schrieb ich mir von Greis' Adresse auf einen Zettel und steckte ihn in die Tasche.
    Auch der Aktenschrank war nicht verschlossen, aber ich zog wieder eine Niete: eine Menge Kataloge mit Juwelen und Halbedelsteinen, ein Flugplan der Lufthansa, eine Vielzahl von Umrechnungstabellen für ausländische Währungen, ein paar Rechnungen und Lebensversicherungspolicen, darunter eine von der Germania.
    Währenddessen hockte der massige Safe in der Ecke, undurchdringlich, und schien sich über meine ziemlich kläglichen Bemühungen lustig zu machen, Jeschonneks Geheimnisse zu lüften, wenn er denn welche hatte. Es war nicht schwer, zu begreifen, warum es hier keine Alarmanlage gab. Man hätte diesen Klotz nicht mit einer Wagenladung Dynamit öffnen können. Jetzt war nicht mehr viel übrig, abgesehen vom Papierkorb. Ich leerte seinen Inhalt auf den Schreibtisch und fing an, die Papierschnipsel zu durchwühlen: Einwickelpapier von Wrigley's Kaugummi, der Völkische Beobachter von heute morgen, die Hälften zweier Eintrittskarten für das Lessingtheater, eine Quittung vom KaDeWe und ein paar Bälle aus zusammengeknülltem Papier. Ich glättete sie. Auf einem Zettel stand die Telefonnummer des Adlon und darunter der Name « Prinzessin Muschmi», der mit einem Fragezeichen versehen und dann mehrmals durchgestrichen war; daneben stand mein eigener Name. Neben meinem Namen stand eine andere Telefonnummer, und diese war so oft umkringelt, daß sie wie die Verzierung auf einer Seite einer mittelalterlichen Bibel aussah. Die Nummer war mir ein Rätsel, obgleich ich erkannte, daß sich der Anschluß im Berliner Westen befand. Ich nahm den Hörer ab und wartete auf die Vermittlung.

    «Nummer, bitte?» sagte das Fräulein. «J 1-9 0 -33.»
    «Ich versuche, Sie zu verbinden.» In der Leitung gab es eine kurze Stille, und dann begann es zu läuten.
    Ich habe ein ausgezeichnetes Gedächtnis, wenn es darum geht, ein Gesicht oder eine Stimme wiederzuerkennen, aber ich brauchte wohl mehrere Minuten, um die kultivierte Stimme mit dem leichten Frankfurter Akzent, die ich am anderen Ende hörte, einer bestimmten Person zuzuordnen. Im Grunde hatte sich der Mann, unmittelbar nachdem er die Nummer bestätigt hatte, identifiziert.
    «Entschuldigung», murmelte ich undeutlich. «Ich habe die

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