Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
falsche Nummer gewählt.» Doch als ich einhängte, wußte ich, daß es mitnichten so war.
9
Es war ein Grab dicht an der Nordmauer des Nikolai-Friedhofs an der Prenzlauer Allee, und hier, in unmittelbarer Nachbarschaft des Denkmals für den am höchsten verehrten Märtyrer des Nationalsozialismus, Horst Wessel, wurden die Leichen, nach einem kurzen Gottesdienst in der Nikolaikirche auf dem nahen Molkenmarkt, gemeinsam in einem Grab beigesetzt.
Ilse Rudel trug einen phantastischen schwarzen Hut, der wie ein Konzertflügel mit hochgestelltem Deckel aussah, und war in Trauerkleidern noch schöner als im Evaskostüm. Ein paarmal fing ich ihren Blick auf, doch mit zusammengepreßten Lippen, als habe sie meinen Nacken zwischen den Zähnen, blickte sie durch mich hindurch, als sei ich ein Stück schmutziges Glas. Six selbst bewahrte einen Ausdruck, der mehr Wut als Schmerz verriet: Mit gerunzelten Augenbrauen und gesenktem Kopf starrte er in das Grab, als wolle er durch eine übernatürliche Willens anstrengung den Körper seiner Tochter lebendig wiederauferstehen lassen. Und dann war da noch Haupthändler mit der nachdenklichen Miene eines Mannes, für den es wichtigere Angelegenheiten zu geben schien, wie zum Beispiel den Verkauf eines Diamanthalsbandes. Daß auf demselben Stück Papier in Jeschonneks Papierkorb Haupthändlers private Telefonnummer, die des Adlon, mein Name und der der falschen Prinzessin auftauchten, ließ an einen möglichen Kausalzusammenhang denken: Durch meinen Besuch aufgeschreckt und durch meine Geschichte verwirrt, hatte Jeschonnek im Adlon angerufen, um sich die Existenz der indischen Prinzessen bestätigen zu lassen. Anschließend hatte er Haupthändler angerufen, um ihn mit ein paar Fakten über das Eigentumsrecht und den Diebstahl der Juwelen zu konfrontieren, die zu der Geschichte, die man vielleicht ursprünglich erzählt hatte, im Widerspruch standen.
Vielleicht. Zumindest war es genug, um daran anzuknüpfen.
Einmal starrte mich Haupthändler ein paar Sekunden gleichmütig an; doch in seinem Gesicht konnte ich nichts lesen: kein Schuldgefühl, keine Furcht, keine Unkenntnis der Verbindung zwischen ihm und Jeschonnek, die ich hergestellt hatte, geschweige denn einen Verdacht. Ich sah nichts, das mich glauben ließ, er sei fähig, einen Doppelmord zu begehen. Aber ein Geldschrankknacker war er bestimmt nicht; hatte er also Frau Pfarr irgendwie überredet, für ihn den Safe zu öffnen? Hatte er mit ihr geschlafen, um an ihre Juwelen ranzukommen? In Anbetracht von Ilse Rudels Verdacht, er könne mit Grete eine Affäre gehabt haben, mußte man das als eine Möglichkeit in Erwägung ziehen.
Es gab noch ein paar andere Gesichter, die ich kannte.
Alte Kripo-Gesichter. Reichskriminaldirektor Arthur Nebe; Hans Lobbe, Chef der Kripo; und ein Gesicht, das mit seiner randlosen Brille und dem kleinen Schnurrbart eher zu einem pedantischen kleinen Pauker als zum Kopf des Chefs der Gestapo und Reichsführers-SS zu passen schien. Himmlers Anwesenheit bei der Beerdigung bestätigte Stahl eckers Eindruck, daß Paul Pfarr der Musterschüler des Reichsführers gewesen und dieser nicht bereit war, den Mörder ungestraft davonkommen zu lassen.
Von einer Frau, die, wie Bruno angedeutet hatte, die Geliebte Paul Pfarrs hätte gewesen sein können, war nichts zu sehen. Nicht, daß ich wirklich damit gerechnet hatte, sie zu sehen, aber man wußte ja nie.
Nach der Beerdigung hatte Haupthändler ein paar Ratschläge seines und meines Arbeitgebers parat: «Herr Six sieht wenig Nutzen darin, daß Sie sich in etwas eingemischt haben, was in erster Linie eine Familienangelegenheit ist. Außerdem soll ich Sie daran erinnern, daß Sie auf der Basis eines Tageshonorars entlohnt werden." Ich sah zu, wie die Trauergäste in ihre großen schwarzen Wagen und dann Himmler und die Kripo-Chefs in die ihren stiegen.
«Hören Sie, Haupthändler ", sagte ich, «versuchen Sie nicht, mit mir Schlitten zu fahren. Sagen Sie Ihrem Chef, wenn er denkt, daß er eine Katze im Sack gekauft hat, dann kann er mich jetzt feuern. Ich bin nicht hier, weil ich eine Schwäche für frische Luft und Lobreden habe."
«Warum sind Sie dann hier? »
«Haben Sie je das Nibelungenlied gelesen? » « Natürlich}), erwiderte er.
«Dann werden Sie sich daran erinnern, daß die Nibelungenkrieger den Mord an Siegfried rächen wollten. Doch sie wußten nicht, wen sie zur Rechenschaft ziehen sollten. Also inszenierten sie das Blutgericht. Die
Weitere Kostenlose Bücher