Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
nennen.» Sie nahm in einem meiner Lehnsessel Platz und schlug ihre schönen Beine übereinander. Ich konnte mir nichts vorstellen, worin sie versagen konnte, außer vielleicht in der Wahl der Cafes, die sie besuchte. «Inzwischen sind wir so weit, daß eine Frau, die ein bißehen Make-up trägt, nicht ausgehen kann aus Furcht, man könnte sie eine Hure nennen.»
«Sie kommen mir nicht wie der Typ vor, der sich viel daraus macht, wie die Leute Sie nennen », sagte ich. «Und zufällig mag ich's, wenn eine Frau wie eine Dame aussieht und nicht wie eine hessische Kuhmagd. »
«Danke, Herr Gunther», lächelte sie. «Das ist sehr nett von Ihnen.»
«Müller sagt, Sie waren früher Reporterin bei der DAZ*.»
«Ja, das stimmt. Ich verlor meine Stellung im Zuge der Parteikampagne . Eine geniale Art, Deutschlands Arbeitslosenproblem zu lösen, meinen Sie nicht auch? Man braucht bloß zu sagen, daß eine Frau bereits einen Beruf hat und dieser darin besteht, sich um Heim und Familie zu kümmern. Und wenn sie keinen Ehemann hat, dann angelt sie sich besser einen, wenn sie weiß, was für sie gut ist. Die Logik ist erschrekkend.»
« Und wie kommen Sie jetzt durch? »
· DAZ = Deutsche Allgemeine Zeitung
«Ich arbeite hier und da als freie Mitarbeiterin. Aber im Augenblick, nun, offen gesagt, Herr Gunther, bin ich blank, und deshalb bin ich hier. Müller sagt, daß Sie nach Informationen über Hermann Six suchen. Ich möchte gern versuchen, das zu verkaufen, was ich weiß. Stellen Sie Ermittlungen über ihn an?»
«Nein. Tatsächlich ist er mein Klient.»
«Oh!» Das schien sie ein wenig zu verblüffen.
«Es war etwas an der Art, wie er mich anheuerte, das mich stutzig machte, und ich wollte gern mehr über ihn wissen», erklärte ich, «und ich meine nicht bloß die Schule, die er besuchte. Man könnte vielleicht sagen, daß er mich verärgerte. Wissen Sie, ich hab's nicht gern, wenn man mir sagt, was ich zu tun habe.»
«In unserer Zeit nicht gerade eine sehr gesunde Einstellung.»
«Ich schätze nicht.» Ich grinste sie an. «Sagen wir also, fünfzig Mark für das, was Sie wissen.»
«Sagen wir hundert, und Sie werden garantiert nicht enttäuscht? »
«Wie wär's mit fünfundsiebzig und einem Abendessen? » « Gemacht.» Sie bot mir die Hand, und ich schlug ein. «Gibt es eine Akte oder etwas Ähnliches, Fräulein Lorenz? »
Sie tippte sich an den Kopf. «Bitte nennen Sie mich Inge.
Ist alles hier oben drin, bis auf die letzte Einzelheit.» Und dann begann sie zu erzählen.
«Hermann Six wurde im April 1881 als Sohn eines der reichsten Männer in Deutschland geboren, auf den Tag acht Jahre bevor unser geliebter Führer zur Welt kam. Weil Sie die Schule erwähnten: Er besuchte das König-WilhelmGymnasium in Berlin. Danach ging er an die Börse, und anschließend trat er natürlich in das Unternehmen seines Vaters ein, die Six-Stahlwerke.
Ebenso wie Fritz Thyssen, Erbe eines anderen großen Familienvermögens, war der junge Six ein glühender Nationalist und organisierte 1923 den passiven Widerstand gegen die französische Besetzung des Ruhrgebiets. Deswegen wurden er und Thyssen verhaftet und eingesperrt. Aber hier ist es mit den Ähnlichkeiten zwischen den beiden vorbei, denn Six hat, anders als Thyssen, für Hitler nie etwas übrig gehabt. Er war ein konservativer Nationalist, niemals ein Nationalsozialist, und jeder Unterstützung, die er der Partei vielleicht zukommen ließ, lagen pragmatische, um nicht zu sagen opportunistische Motive zugrunde.
Inzwischen heiratete er Lisa Vögler, eine frühere Staatsschauspielerin am Berliner Staatstheater. Sie hatten ein Kind, Grete, geboren 1911. Lisa starb 1934 an Tuberkulose, und Six heiratete Ilse Rudel, die Schauspielerin.» Inge Lorenz stand auf und begann, während sie sprach, im Zimmer auf und ab zu gehen. Es war schwierig, sich zu konzentrieren, wenn man ihr zusah: Wandte sie mir den Rücken, klebten meine Blicke an ihrem Hinterteil, und wenn sie mich ansah, ruhten sie auf ihrem Bauch.
«Ich sagte, Six machte sich nichts aus der Partei. Das ist richtig. Doch in der Gewerkschaftsfrage verhält er sich gleichermaßen ablehnend, und er begrüßte die Art, in der die Partei, kaum daß sie zur Macht gekommen war, damit begann, die Gewerkschaften kaltzumachen. Aber es ist der sogenannte Sozialismus der Partei, der ihm zutiefst zuwider ist. Und ihre Wirtschaftspolitik. Six war einer der zahlreichen führenden
Weitere Kostenlose Bücher