Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Schweinehund ab, und dann direkt zur Leipziger Straße. Seine Majestät darf man nicht warten lassen.»
«Abladen, wo? Schöneberger Brücke? »
Rienacker lachte. «Vielleicht.» Er zog einen Flachmann aus seiner Manteltasche und nahm einen tiefen Schluck. Am vergangenen Abend hatte man auch mir ein solches Flugblatt in den Briefkasten gesteckt. Es befaßte sich im wesentlichen damit, keinen Geringeren als den Preußischen Ministerpräsidenten lächerlich zu machen. Ich wußte, daß die Gestapo in den Wochen vor Beginn der Olympiade energische Anstrengungen unternahm, den kommunistischen Untergrund in Berlin zu zerschlagen. Tausende von Kommunisten waren verhaftet und in Konzentrationslager wie Oranienburg, Dachau und Buchenwald eingeliefert worden. Ich zählte zwei und zwei zusammen, und mit Entsetzen wurde mir klar, wer diese Person war, zu der ich unterwegs war.
Am Polizeirevier Grolmannstraße hielt der Wagen, und einer der bei den Ausbunde an Häßlichkeit zerrte den Gefangenen unter unseren Füßen hervor. Ich glaubte nicht, daß er große Chancen hatte. Wenn ich je einen Mann sah, der dazu bestimmt war, in tiefer Nacht im Landwehrkanal Schwimmunterricht zu nehmen, dann war er es. Dann fuhren wir auf der Berliner Straße und der Charlottenburger Chaussee nach Osten. Die Ost-West-Achse Berlins war zur Feier der bevorstehenden Olympischen Spiele mit einer Unzahl schwarz-weiß-roter Fahnen geschmückt. Rienacker beäugte grimmig die Pracht.
«Diese beschissenen Olympischen Spiele», höhnte er. «Nichts als verdammte Geldverschwendung. »
«Ich sehe mich gezwungen, Ihnen recht zu geben », sagte ich.
«Ich möchte wissen, wozu das alles gut sein soll. Wir sind, was wir sind, also warum so tun, als wären wir's nicht? Sie kommandieren sogar Nutten aus München und Hamburg ab, weil die Notverordnungen den Weibermarkt in Berlin so hart getroffen haben. Und Niggerjazz ist wieder legal. Was halten Sie davon, Gunther? »
«Das eine sagen und das andere tun. Da haben Sie diese Regierung in ihrer ganzen Größe.» Er sah mich mit zusammengekniffenen Augen an. «Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht rumlaufen und so was sagen», sagte er.
Ich schüttelte den Kopf. «Es spielt keine Rolle, was ich sage, Rienacker, das wissen Sie. Genau so lange, wie ich Ihrem Boß von Nutzen sein kann. Es würde ihn nicht jucken, wenn ich Karl Marx und Moses in einer Person wäre, solange er glaubt, daß ich ihm einen Dienst erweisen kann.»
«Dann sollten Sie das Beste daraus machen. Sie werden nie mehr einen Klienten kriegen, der so wichtig ist wie dieser.»
«Das sagen sie alle.»
Kurz vor dem Brandenburger Tor bog der Wagen nach Süden in die Hermann-Göring-Straße ein. In der britischen Botschaft brannten alle Lichter, und mehrere Dutzend Limousinen waren vorgefahren. Als der Wagen langsam die Auffahrt des daneben liegenden großen Gebäudes hinauffuhr und der Fahrer die Scheibe herunterkurbelte, damit der wachhabende SA-Mann uns identifizieren konnte, hörten wir quer über den Rasen den Lärm einer großen Gesellschaft.
Rienacker und ich warteten in einem Raum von der Größe eines Tennisplatzes. Nach kurzer Zeit erschien ein großer, dünner Mann in der Uniform eines Offiziers der Luftwaffe und teilte uns mit, Göring sei beim Umkleiden und werde uns in zehn Minuten empfangen.
Es war ein düsterer Palast, anmaßend und bombastisch, der eine ländliche Idylle vorzutäuschen suchte, die zur großstädtischen Umgebung im Widerspruch stand. Rienacker nahm auf einem mittelalterlich aussehenden Stuhl Platz, sagte kein Wort, als ich mich im Raum umsah, behielt mich aber scharf im Auge.
«Heimelig», sagte ich. Ich stand vor einem Gobelin mit zahlreichen Jagdszenen, der so groß war, daß er mit Leichtigkeit einer Abbildung der «Hindenburg » in natürlicher Größe Platz geboten hätte. Das einzige Licht im Raum kam von einer Lampe auf dem riesigen, auf Renaissance getrimmten Schreibtisch, die aus zwei silbernen Armleuchtern mit Pergamentschirmen bestand. Die Lampe erleuchtete einen kleinen Reliquienschrein von Fotografien: Eine zeigte Hitler als SA-Mann mit Braunhemd und dem Lederriemen quer über der Brust, und er sah darauf einem Pfadfinder überaus ähnlich. Die anderen zeigten zwei Frauen, von denen die eine, wie ich vermutete, Görings tote Frau, Karin, die andere seine zweite Frau, Emmy, war. Neben den Fotografien lag ein großes in Leder gebundenes Buch, auf dessen Vorderseite ein Wappen zu sehen war, vermutlich
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