Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
zierte. Das Gesicht, an vielen Stellen zerknittert wie eine alte Zigarettenpackung, trug einen gewachsten Schnurrbart, und der allgemeine Eindruck entsprach dem Klischee «Deutscher Junkep>, wie es auf den Seiten alter Ausgaben der Jugend zu finden war.
«Außerdem hat er eine Tätowierung», fügte Göring hinzu. «Auf seinem rechten Arm. Ein kaiserlicher Adler.» «Sehr patriotisch», sagte ich. Ich steckte das Foto in meine Tasche und bat um eine Zigarette. Einer der Begleiter Görings reichte mir das große Silberkästchen und gab mir mit seinem Feuerzeug Feuer.
« Ich glaube, daß die Polizei von der Annahme ausgeht, sein Verschwinden könnte etwas mit seiner homosexuellen Veranlagung zu tun haben.» Ich sagte nichts von der Information, die ich von Neumann hatte, betreffend einen namenlosen Adligen, den der Ringverein «Deutsche Kraft» ermordet haben sollte. Bis ich diese Geschichte nachprüfen konnte, hatte ich keinen Anlaß, eine Karte auszuspielen, die sich unter Umständen als Joker erweisen konnte.
«Das ist in der Tat eine Möglichkeit», sagte Göring, und er schien sich bei diesem Zugeständnis unbehaglich zu fühlen. «Es ist wahr, seine Homosexualität führte ihn an einige gefährliche Orte und hatte in einem Fall sogar zur Folge, daß die Polizei auf ihn aufmerksam wurde. Ich konnte jedoch erreichen, daß man die Anklage fallen ließ. Durch das, was für ihn eine heilsame Erfahrung hätte sein müssen, ließ sich Gerhard jedoch nicht abschrecken. Es gab sogar eine Beziehung zu einem prominenten Beamten, die zu regeln war. Törichterweise ließ ich zu, daß die bei den sie fortsetzten, in der Hoffnung, Gerhard werde dadurch gezwungen, diskreter vorzugehen.» Ich nahm diese Mitteilung mit gehörigem Vorbehalt zur Kenntnis. Ich hielt es für viel wahrscheinlicher, daß Göring die Beziehung hatte weiterbestehen lassen, um unter Umständen Funk zu kompromittieren - einen kleineren politischen Rivalen - mit dem Ziel, Funk in die Tasche zu stecken. Das heißt, falls er nicht schon drin war.
«Hatte von Greis andere Männerbekanntschaften?» Göring zuckte die Achseln und blickte Rienacker an, der aufschreckte und sagte: «Soweit wir wissen, hatte er keinen besten Freund. Doch es ist schwierig, das mit Sicherheit zu sagen. Die meisten der warmen Brüder sind durch die Notverordnungen in den Untergrund getrieben worden. Und die meisten der alten Schwulentreffs wie das Eldorado sind geschlossen. Wie auch immer, Herr von Greis unterhielt trotzdem eine Anzahl flüchtiger Liebschaften.»
«Es besteht die Möglichkeit», sagte ich, «daß der Herr seines Vergnügens wegen einen nächtlichen Besuch in einem abgelegenen Winkel der Stadt machte, dort von der Kripo hoppgenommen, verprügelt und in ein KZ verfrachtet wurde. Es ~önnen mehrere Wochen vergehen, ehe man vielleicht davon erfährt.» Die Ironie der Situation entging mir nicht: Ich erörterte das Verschwinden eines Dieners jenes Mannes, der selber für das Verschwinden so vieler anderer Personen verantwortlich war. Ich fragte mich, ob er das wohl auch so sah. «Offen gesagt, Exzellenz, wenn heutzutage in Berlin jemand eine Woche lang oder zwei verschwunden bleibt, ist das keine lange Zeit.»
«Ermittlungen in dieser Richtung sind bereits angestellt worden», sagte GÖring. «Aber Sie haben recht, das zu erwähnen. Davon abgesehen, liegt es jetzt an Ihnen. Aus den Erkundigungen, die Rienacker über Sie eingeholt hat, geht hervor, daß verschwundene Personen Ihre Spezialität zu sein scheinen. Mein Adjutant wird Sie mit Geld und allem anderen, was Sie benötigen, ausstatten. Gibt es sonst noch etwas?»
Ich dachte einen Augenblick nach. «Ich möchte gern ein Telefon anzapfen lassen.»
Ich wußte, daß das Forschungsamt, das Direktorium für Wissenschaftliche Forschung, das Abhöraktionen überwachte, Göring unterstellt war. Von diesem Amt, das im alten Gebäude des Luftfahrtministeriums untergebracht war, erzählte man sich, daß selbst Himmler Görings Genehmigung einholen mußte, wenn er jemanden abhören lassen wollte. Und ich hatte den starken Verdacht, daß es diese besondere Einrichtung war, die es Göring ermöglichte, seinen «Speicher an Informationen» weiterhin zu vergrößern, den Diels seinem ehemaligen Herrn hinterlassen hatte.
Göring lächelte. «Sie sind gut informiert. Wie Sie wünschen.» Er drehte sich um und sprach mit seinem Adjutanten. «Kümmern Sie sich darum. Der Sache muß Priorität eingeräumt werden. Und sorgen Sie
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