Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
vermutlich einer lettischen SS-Division angehört, die in einem der polnischen Todeslager Dienst tat. In Auschwitz und anderswo hatten sie zahlreiche Letten eingesetzt. Die Letten waren schon fanatische Antisemiten, als Moses Men deIssohn in Deutschland noch ein Lieblingssohn war.
Ich zog das Wellblech beiseite, und es kam eine Art von al ter Senk- oder Jauchegrube zum Vorschein. Es stank wirklich erbärmlich. Da sah ich plötzlich die Katze wieder. Sie schob sich zwischen zwei Papiersäcken mit dem Aufdruck «Kalzi umoxyd » dicht neben der Grube hindurch. Sie miaute ver ächtlich, als wollte sie sagen «Ich habe dich gewarnt, daß je mand neben dem Fenster steht, aber du wolltest ja nicht auf mich hören ». Ein saurer, kalkiger Gestank stieg aus der Grube auf und verursachte mir eine Gänsehaut. «Du hast recht», miaute die Katze, wie einer Erzählung von Edgar Al lan Poe entsprungen, «Kalziumoxyd ist ein billiges Laugen salz, das man für saure Böden verwendet, wie zum Beispiel in Weinbergen. Aber es wird auch Ätzkalk genannt und hat sich als ein ungemein wirksames Mittel erwiesen, die Zersetzung menschlicher Körper zu beschleunigen.»
Voll Entsetzen wurde mir klar, daß der Lette mich wirklich umbringen wollte. Und ich mühte mich damit ab, wie ein Phi lologe seine Sprechweise einzuordnen und mich an chemische Formeln zu erinnern, die ich in der Schule gelernt hatte.
Zum erstenmal konnte ich ihn genauer betrachten. Er war groß und untersetzt wie ein Ackergaul, doch das vergaß man, wenn man in sein Gesicht blickte: Die ganze rechte Seite war ausgerenkt, als hätte er ein großes Stück Kautabak in der Backe; sein rechtes Auge sah aus wie ein Glasauge und stand weit vor. Er hätte vermutlich sein eigenes Ohrläppchen küssen können ... Das mußte er wahrscheinlich auch, denn einem Mann mit einem solchen Gesicht konnte niemand Zu neigung entgegenbringen.
«Knie neben Grube», schnarrte er wie ein Neandertaler. «Du wirst doch nicht einen alten Kameraden umbringen, wie?» sagte ich und versuchte verzweifelt, mich an Nebes neuen Namen oder den irgendeines lettischen Regiments zu erinnern. Ich erwog, um Hilfe zu rufen, wußte jedoch, daß er mich dann ohne Zögern erschießen würde.
«Du alter Kamerad?» feixte er.
« 0 bersturmführer im Ersten Lettischen», sagte ich mit schlecht gespieltem Gleichmut. Der Lette spie ins Gebüsch und betrachtete mich teilnahmslos mit seinem Glubschauge. Die Waffe, ein großer Colt Automatik mit blauem Lauf, blieb direkt auf meine Brust gerichtet.
« Erstes Lettisches, wie? Du hörst dich nicht an wie Lette.» « Ich bin Preuße», sagte ich. « Unsere Familie lebte in Riga.
Mein Vater war Schiffbauer aus Danzig. Er heiratete eine Russin.» Zur Bekräftigung sagte ich ein paar Worte auf rus sisch, obwohl ich mich nicht erinnern konnte, ob in Riga vorwiegend Russisch oder Deutsch gesprochen wurde.
Seine Augen verengten sich, das eine stärker als das an dere.
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Er grinste entsetzlich und schüttelte mit bedächtigem Sa dismus seinen Kopf. «War 43. Jetzt auf die Knie, oder ich baller dir in die Därme.»
Langsam sank ich am Rand der Grube auf die Knie und spürte den feuchten Boden durch den Stoff meiner Hose. Ich hatte mehr als genug SS-Morde gesehen, um zu wissen, was er vorhatte: Ein Schuß ins Genick, und mein Körper würde in ein bereits fertiges Grab rollen und mit ein paar Schaufeln Ätzkalk bestreut werden. Er ging in weitem Bogen um mich herum. Die Katze ließ sich nieder, um zuzuschauen, den Schwanz zierlich um ihr Hinterteil gelegt. Ich schloß meine Augen und wartete.
«Rainis», sagte eine Stimme. Ich wagte kaum, mich um zublicken, um zu sehen, wer mich gerettet hatte.
«Alles in Ordnung, Berni. Sie können aufstehen.»
Meine Angst entlud sich in einem mächtigen Rülpser. Be nommen und mit zitternden Knien erhob ich mich vom Rand der Grube, drehte mich um und erblickte Arthur Nebe, der ein paar Meter hinter dem lettischen Ungeheuer stand. Es är gerte mich, daß Nebe grinste. «Wie schön, daß Sie das lustig finden, Doktor Frankenstein », sagte ich. < «Was in aller Welt haben
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