Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
Bibliothek weg ist. Offenbar hatte der frühere Besitzer eine prächtige Sammlung zurück gelassen, aber als die Russen kamen, haben sie die Bücher als Brennstoff für den Boiler benutzt.» Er schüttelte traurig den Kopf. «Was soll man mit solchen Untermenschen anfan gen? »
Nachdem Nebe die Bibliothek verlassen hatte, folgte ich seinem Vorschlag und machte im Kamin Feuer. Das half mir, mich auf meine nächsten Schritte zu konzentrieren. Als die Flammen das kleine Bauwerk aus Scheiten und Hölzchen er griffen hatten, das ich errichtet hatte, kam ich zu dem Schluß, daß Nebes unübersehbare Erheiterung über die Um stände von Heims Tod darauf hinzudeuten schien, daß die Org überzeugt war, daß Veronika die Wahrheit gesagt hatte. Freilich hatte ich auch jetzt noch keine Ahnung, wo sie sich befinden könnte, doch ich hatte den Eindruck, daß König noch nicht in Grinzing war, und ohne meine Waffe sah ich keine Möglichkeit, jetzt zu verschwinden und woanders nach ihr zu suchen. Zudem waren es noch zwei Stunden bis zum Treffen der Org, und es erschien mir das Beste, auf Kö nigs Ankunft zu warten und darauf zu hoffen, daß er mich beruhigte. Und falls er Veronika verletzt oder getötet hatte, würde ich ihn mir persönlich vorknöpfen, wenn Belinsky mit seinen Männern ankam.
Ich nahm das Schüreisen und stocherte gedankenlos im Feuer. Nebes Diener erschien mit dem Kaffee, doch ich nahm keine Notiz von ihm und streckte mich, nachdem er gegan gen war, auf dem Sofa aus und schloß die Augen.
Das Feuer flackerte und knisterte und wärmte meinen Rücken. Hinter den geschlossenen Lidern verwandelte sich Hellrot in Purpurrot und dann in etwas Einschläferndes ... «Herr Gunther? »
Ich riß meinen Kopf vom Sofa. Der Schlaf in einer unbe quemen Lage, wenn auch nur ein paar Minuten lang, hatte meinen Hals so steif gemacht wie neues Leder. Als ich auf meine Uhr blickte, sah ich, daß ich mehr als eine Stunde ge schlafen hatte. Ich bewegte meinen Hals hin und her.
Neben dem Sofa saß ein Mann im grauen Flanellanzug. Er beugte sich vor und streckte mir zur Begrüßung die Hand hin. Sie war breit, muskulös und überraschend kräftig für einen so kleinwüchsigen Mann. Allmählich erkannte ich sein Gesicht, obwohl ich dem Mann noch nie begegnet war.
«Ich bin Dr. Moltke», sagte er. «Ich habe schon viel von Ihnen gehört, Herr Gunther.» Er sprach ein solches Bayerisch, daß man den Bierschaum von seinem Akzent hätte pu sten können.
Ich nickte unsicher. Sein Blick hatte etwas, was ich zutiefst verwirrend fand. Er hatte die Augen eines Hypnotiseurs aus einem Variete.
«Ich bin erfreut, Sie kennenzulernen, Herr Doktor.»
Da war also noch jemand, der seinen Namen geändert hatte, den man für tot hielt, wie Arthur Nebe. Und doch war dieser Mann kein gewöhnlicher Nazi-Flüchtling, der sich der Gerechtigkeit entzog, wenn es denn 1948 irgendwo in Europa überhaupt Gerechtigkeit gab. Mich überkam ein merkwürdiges Gefühl, als ich daran dachte, daß ich gerade einem Mann die Hand geschüttelt hatte, der, wären da nicht die mysteriösen Umstände seines «Todes», sehr wohl der meistgesuchte Mann der Welt hätte sein können. Dieser Mann war «Gestapo »-Müller in Person.
«Arthur Nebe hat mir von Ihnen erzählt», sagte er. «Wis sen Sie, Sie und ich, wir sind uns ziemlich ähnlich, wie es scheint. Ich war Kriminalbeamter, wie Sie. Ich fing als Strei fenpolizist an und habe meinen Beruf in der harten Schule der alltäglichen Polizeiarbeit gelernt. Wie Sie habe ich mich spezialisiert: Während Sie für die Mordkommission arbeite ten, lockte mich die Beobachtung kommunistischer Partei funktionäre. Ich habe sogar eine spezielle Studie über sowjet russische Polizeimethoden verfaßt. Ich entdeckte dort viel Bewunderungswürdiges. Sie, als alter Polizist, würden die Berufsauffassung der russischen Polizei gewiß zu schätzen wissen. Der KGB, früher der NKWD, ist wahrscheinlich die großartigste Geheimpolizei der ganzen Welt. Sogar besser als die Gestapo. Ich denke, aus dem einfachen Grund, weil der Nationalsozialismus nie in der Lage war, einen Glauben her vorzubringen, der dazu taugte, eine so konsequente Einstel lung zum Leben zu fordern. Und wissen Sie, warum?»
Ich schüttelte den Kopf. Sein schwerer bayerischer Akzent schien auf eine natürliche Herzlichkeit hinzudeuten, die der Mann selbst, wie ich wußte, unmöglich besessen haben konnte.
«Weil wir uns, Herr Gunther, anders als die Kommuni sten, niemals
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