Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
entlarvt, der Heims Leiche be seitigt hatte.
Ich erinnerte mich an Veronikas Erzählungen von ihrem Leben als sudetendeutsche Jüdin während des Krieges. Wie sie sich in Waschräumen, schmutzigen Kellern, Schränken und auf Dachböden versteckt hatte. Und dann sechs Monate im DP-Lager. «Sie hat viel hinter sich », hatte Lotte Hart mann gesagt. Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr wollte mir scheinen, daß sie sehr wenig von dem gehabt hatte, was man strenggenommen ein richtiges Leben nennen konnte.
Ich blickte auf meine Uhr und stellte fest, daß es sieben Uhr war. Mir blieben noch drei Stunden, bis das Treffen be gann: Vorher war Belinsky mit der «Kavallerie», wie er sich ausdrückte, nicht zu erwarten. Und da die Männer, die Vero nika mitgenommen hatten, an Ort und Stelle waren, bestand zweifellos die Möglichkeit, daß sie nicht mehr lange leben würde. Es sah so aus, als hätte ich keine andere Wahl, als hin zufahren und sie rauszuholen.
Ich nahm meinen Revolver heraus, öffnete den sechsschüs sigen Zylinder und überzeugte mich davon, daß alle Kam mern geladen waren, ehe ich die Treppe hinunterstieg. Am Taxistand auf der Kärntner Straße winkte ich einem Taxi und sagte dem Fahrer, er solle nach Grinzing fahren.
«Wohin in Grinzing?» fragte er und gab Gas. «Das sage ich Ihnen, wenn wir da sind.»
«Sie sind der Chef», sagte er und raste in Richtung Ring. «Der einzige Grund, warum ich fragte, war, daß dort so früh am Morgen alles geschlossen sein wird. Und sie sehen nicht aus wie jemand, der eine Bergwanderung machen will. Nicht in dem Mantel.» Der Wagen erbebte, als wir durch zwei rie sige Schlaglöcher fuhren. «Und Sie sind kein Österreicher. Das merke ich an Ihrem Akzent. Sie hören sich an wie ein Piefke, mein Herr. Hab ich recht? »
«Ersparen Sie mir Ihre Lebenserfahrungen, ja? Ich bin nicht in Stimmung.»
«In Ordnung, mein Herr. Ich fragte bloß für den Fall, daß Sie ein bißchen Spaß haben wollten. Wissen Sie, mein Herr, nur ein paar Minuten außerhalb von Grinzing, an der Straße nach Kobenzl, da ist dieses Hotel - das Schloßhotel Ko benzl.» Er mühte sich mit dem Lenkrad ab, als der Wagen ein weiteres Schlagloch durchfuhr. «Im Augenblick wird's als DP-Lager benutzt. Da gibt's Mädchen, die können Sie bloß für'n paar Zigaretten haben. Sogar so früh am Morgen, wenn Sie Lust haben. Ein Mann, der so einen guten Mantel trägt, könnte vielleicht zwei oder drei gleichzeitig haben. Lassen Sie sie unter sich 'ne geile Schau abziehen, wenn Sie wissen, was ich meine.» Er lachte gemein. «Ein paar von die sen Mädchen, mein Herr, sind in DP-Lagern aufgewachsen. Die haben nicht mehr Moral als Kaninchen, ehrlich. Die würden alles machen. Glauben Sie mir, mein Herr, ich weiß, wovon ich rede. Ich hab selber Kaninchen.» Bei dem Gedan ken grinste er über das ganze Gesicht vor Freude. «Ich könnte was für den Herrn arrangieren. Auf dem Rücksitz. Für eine kleine Gebühr, versteht sich.»
Ich beugte mich im Sitz nach vorn. Ich weiß nicht, warum ich mich mit ihm abgab. Vielleicht, weil ich Zuhälter einfach nicht leiden kann. Vielleicht, weil ich mir nicht viel daraus machte, daß er wie ein Doppelgänger von Trotzki aussah.
« Das wäre einfach großartig", sagte ich sehr grob. « Gäb's da nicht eine russische Schubladenfalle, mit der ich es in der Ukraine zu tun kriegte. Partisanen legen eine Granate, die durch Druck gezündet wird, hinter eine Schublade, die sie halb offenstehen lassen mit einer Flasche Wodka drin, um deine Aufmerksamkeit zu erregen. Ich kam vorbei, zog die Schublade auf, der Druckzünder wurde ausgelöst, und die Granate detonierte. Mein Schwanz und meine beiden Klöten wurden mir glatt vom Leib abgerissen. Der Schock brachte mich fast um, dann starb ich beinahe an Blutverlust. Und als ich schließlich aus dem Koma erwachte, starb ich fast vor Kummer. Ich sag Ihnen, wenn ich auch nur ein Stückchen von einer Möse sehe, ist anzunehmen, daß ich vor Enttäu schung verrückt werde. Ich würde wahrscheinlich den ersten besten Mann töten, aus reinem Neid."
Der Fahrer warf einen Blick über seine Schulter nach hin ten. «Tut mir leid», sagte er nervös. < « Schwamm drüber", sagte ich, jetzt fast lächelnd.
Als wir an dem gelben Haus vorbeikamen, sagte ich dem Fahrer, er solle bis zur Kuppe des Hügels fahren. Ich hatte beschlossen, mich Nebes Haus von hinten zu nähern, durch die Weingärten. Da die Taxameter
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