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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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noch nackt, folgte Kirsten mir in die Küche und sah zu, wie ich ihre Beute betrachtete. War es bloß der eine Ame rikaner? Oder gab's da noch andere?
    «Ich sehe, du bist wieder fleißig gewesen», sagte ich und nahm das Päckchen Pariser in die Hand. «Wie viele Kalorien haben die?»
    Sie lachte hinter vorgehaltener Hand. «Der Geschäftsfüh rer bewahrt hinter dem Tresen eine ganze Ladung davon auf.» Sie setzte sich auf einen Stuhl. «Ich dachte, es sei eine gute Idee. Du weißt, es ist 'ne ganze Weile her, seit wir das ge macht haben.»
    Sie spreizte ihre Schenkel, als wolle sie mich noch mehr se hen lassen. «Jetzt ist Zeit, wenn du willst.»
    Es war rasch erledigt und wurde von ihrer Seite mit bei nahe professioneller Gleichgültigkeit ausgeführt, so als werde ihr ein Klistier verabreicht. Kaum war ich fertig, als sie auch schon in das Badezimmer eilte, die Wangen kaum gerö tet, den benutzten Pariser in der Hand, als sei er eine tote Maus, die sie unter dem Bett gefunden hatte.
    Eine halbe Stunde später, angekleidet und bereit, zur Ar beit zu gehen, blieb sie im Wohnzimmer stehen, wo ich die Asche geschürt und Kohlen nachgelegt hatte. Einen Augen blick sah sie zu, wie ich das Feuer neu entfachte.
    «Das machst du gut», sagte sie. Ich konnte nicht sagen, ob die Bemerkung sarkastisch gemeint war. Dann gab sie mir einen flüchtigen Kuß und ging hinaus.
    Der Morgen war schneidend kalt, und ich war froh, den Tag in einer öffentlichen Bücherei in der Hardenbergstraße beginnen zu können. Der Bibliothekar war ein Mann, dessen Mund so schlimm verunstaltet war, daß man unmöglich sa gen konnte, wo seine Lippen waren, bevor er zu sprechen an fing.
    « Nein», sagte er mit einer Stimme, die eigentlich einem Seelöwen zustand, « über das Document Center gibt es keine Bücher. Aber in den letzten paar Monaten sind ein paar Zei tungsartikel veröffentlicht worden. Einer, glaube ich, im Te legraf und der andere im Informationsbulletin der Militärre gterung.»
    Er griff nach seinen Krücken und humpelte einbeinig zu einem großen Katalogschrank, in dem er, wie er vermutet hatte, Verweise auf diese beiden Artikel fand: Der eine, im Mai im Telegraf veröffentlicht, war ein Interview mit dem befehlshabenden Offizier des Centers, einem Lieutenant Colonel Hans W. Helm; der andere war ein Bericht über die jüngste Geschichte des Centers, im August von einem Mitar beiter des Stabs verfaßt. Ich dankte dem Bibliothekar, der mir sagte, wo ich die Bibliotheksexemplare beider Veröffent lichungen finden konnte. « Ein Glück für Sie, daß Sie heute gekommen sind», sagte er. « Ich fahre morgen nach Gießen, um mein künstliches Bein anpassen zu lassen.»
    Als ich die Artikel las, wurde mir klar, daß ich nie gedacht hatte, die Amerikaner wären zu einer solchen Leistung fähig. Zugegeben, beim Zusammentragen der Dokumentensamm lung des Centers war eine gehörige Portion Glück im Spiel gewesen. So waren, zum Beispiel, die Truppen des 7. Armee korps in einer Papierfabrik nahe München über die vollstän digen Listen der Parteimitglieder gestolpert, die gerade einge stampft werden sollten. Der Stab des Centers hatte sich an die Gründung und Verwaltung des umfassendsten Archivs gemacht, so daß man mit hundertprozentiger Genauigkeit ermitteln konnte, wer ein Nazi gewesen war. Neben der NSDAP-Zentralkartei befanden sich unter den Sammlungen des Centers auch das Verzeichnis der Bewerbungen um die Parteimitgliedschaft, die Parteikorrespondenz, die Stamm rollen der SS, die Akten des Reichssicherheitshauptamtes, der SS-Rasseabteilung, die Verhandlungsprotokolle des höchsten Parteigerichtes und des Volksgerichtshofes - alles war da, vom Mitgliederverzeichnis des NS- Lehrerbundes bis zu einer Akte über aus der HJ ausgestoßene Mitglieder.
    Als ich die Bibliothek verließ und mich auf den Weg zum Bahnhof machte, kam mir ein anderer Gedanke. Ich hätte nie geglaubt, daß die Nazis so töricht sein würden, über ihre Aktivitäten so umfassend, detailliert und belastend Buch zu führen.
    Ich verließ die U-Bahn - eine Haltestelle zu früh, wie sich herausstellte - an einer Station im amerikanischen Sektor, die aus keinem Grund, der mit ihrer Besetzung der Stadt zu tun hatte, «Onkel Toms Hütte» genannt wurde, und ging die Argentinische Allee entlang.
    Umstanden von den großen Kiefern des Grunewaldes, in unmittelbarer Nähe eines kleinen Sees, erhob sich das Berli ner Document Center auf einem streng bewachten Grund stück am

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