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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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so viel, nicht wahr? »
    Ich nahm ihm gegenüber Platz und rauchte eine Memphis aus dem Päckchen, das ich Poroschins Vorrat entnommen hatte. Ich schob Liebl das Päckchen hin, der eine Zigarette nahm und sie sorgfältig in ein Zigaretten etui tat. Er und ich hatten unsere Zusammenarbeit nicht gerade glücklich be gonnen. Es war an der Zeit, ein paar Brücken zu bauen.
    «Behalten Sie das Päckchen», sagte ich.
    «Sie sind sehr freundlich», erwiderte er und schob mir einen Aschenbecher hin.
    Jetzt, als ich ihn bei Licht sah, fragte ich mich, welche Ge nealogie von Ausschweifung sein einmal ebenmäßiges Ge sicht zerstört hatte. Seine grauen Wangen waren schwer von beinahe eiszeitlichen Schrunden zerfurcht, und seine Nase war ein wenig gekräuselt, als habe jemand einen schlechten Scherz gemacht. Seine Lippen waren sehr rot und sehr dünn, und er lächelte wie eine verschlagene alte Schlange, was nur dazu beitrug, den Ausdruck von Ausschweifung zu verstär ken, den die Jahre, und höchstwahrscheinlich der Krieg, in seine Züge gegraben hatten. Er sorgte von sich aus für eine Erklärung.
    «Ich war eine Zeitlang in einem Konzentrationslager. Vor dem Krieg war ich Mitglied der Christlichsozialen Partei. Sie wissen, daß die Leute es vorziehen, zu vergessen, aber es gab in Österreich eine sehr große Sympathie für Hitler.» Er hu stete ein wenig beim ersten Zug aus der Zigarette. «Es ist sehr angenehm für uns, daß die Alliierten entschieden, Öster reich sei nicht Kollaborateur der Nazis, sondern ein Opfer ihrer Aggression gewesen. Aber es ist auch absurd. Wir sind perfekte Bürokraten, Herr Gunther. Die Anzahl der Österrei cher ist bemerkenswert, die bei der Durchführung von Hit lers Verbrechen eine entscheidende Rolle übernahmen. Und viele ebendieser Männer - und auch ein paar Deutsche -le ben hier in Wien. Im Augenblick untersucht das Sicherheits büro von Oberösterreich gerade den Diebstahl einer Anzahl von Personalausweisen aus der Wiener Staatsdruckerei. Sie sehen also, daß es für jene, die hier bleiben wollen, immer Möglichkeiten gibt, das zu tun. Die Wahrheit ist, daß diese Männer, diese Nazis, es genießen, in meinem Land zu leben. Wo es seit fünfhundert Jahren Judenhaß gibt, fühlen sie sich zu Hause.
    Ich erwähne diese Dinge, weil ein Piefke» - er lächelte ent schuldigend -, « weil ein Preuße wie Sie in Wien einem gewis sen Maß an Feindseligkeit begegnen könnte. Ein Akzent wie der Ihre könnte einige Wiener vielleicht daran erinnern, daß sie sieben Jahre lang Nationalsozialisten waren. Eine unan genehme Tatsache, von der die meisten Leute inzwischen lie ber glauben möchten, sie sei nicht mehr als ein böser Traum gewesen.»
    « Ich werde es mir merken.»
    Nach dem Treffen mit Liebl ging ich in die Pension in der Skodagasse, wo ich eine Nachricht von Beckers Freundin vorfand, sie werde gegen sechs vorbeikommen, um zu sehen, wie ich untergebracht sei. Die Pension Caspian war ein erst klassiges kleines Haus. Ich hatte ein Schlafzimmer, einen daran anschließenden Wohnraum und ein Bad. Es gab sogar eine winzige überdachte Veranda, auf der ich im Sommer hätte sitzen können. Es war warm dort, und es schien einen nie endenden Vorrat an heißem Wasser zu geben - ein unge wohnter Luxus. Ich war noch nicht lange mit dem Baden fer tig - sogar Marat wäre davor zurückgeschreckt, so lange in der Wanne zu sitzen -, als es an die Tür des Wohnraumes klopfte und ich nach einem Blick auf meine Armbanduhr feststellte, daß es fast sechs war. Ich schlüpfte in meinen Mantel und öffnete die Tür.
    Sie war klein, hatte strahlende Augen, die rosigen Wangen eines Kindes und dunkles Haar, das aussah, als bekäme es selten einen Kamm zu sehen. Ihr Lächeln, bei dem sie schöne Zähne entblößte, wurde ein wenig ernst, als sie meine nack ten Füße erblickte.
    «Herr Gunther?» sagte sie zögernd. «Fräulein Traudl Braunsteiner?» Sie nickte.
    «Treten Sie ein. Leider habe ich länger im Bad zugebracht, als ich sollte, aber das letzte Mal, daß ich wirklich heißes Wasser hatte, kam ich aus dem sowjetischen Arbeitslager zu rück. Nehmen Sie Platz, während ich mir etwas überziehe.»
    Als ich zurückkam, sah ich, daß sie eine Flasche Wodka mitgebracht hatte und uns auf einem Tisch an der Veranda tür zwei Gläser einschenkte. Sie reichte mir das Glas, und wir setzten uns.
    «Willkommen in Wien», sagte sie. «Ernil sagte, ich solle Ihnen eine Flasche bringen.» Sie stieß gegen die Tasche zu ihren

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