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Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
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«dieser Friedhof ist wie ein gottver dammtes Footballfeld. Wissen Sie, Gunther, die Straße, die wir gerade verlassen haben, ist fast einen Kilometer lang und schnurgerade. Ich sah Sie, als sie noch zweihundert Meter von Lindens Beerdigung entfernt waren, und für mich sah es so aus, als würden Sie sich beeilen, uns einzuholen.» Er grin ste selbstzufrieden, wie mir schien. «Hab ich recht? »
    «Mein Vater liegt in der Nähe von Lindens Grab begra ben. Als ich hinkam und die Ehrenwache sah, beschloß ich, ein bißchen später wiederzukommen, wenn es ruhiger sein würde.»
    «Sie sind den ganzen Weg gelaufen und haben keine Blumen mitgebracht? » « Sie etwa? »
    «Natürlich. Haben mich fünfzig Schilling gekostet.» « Sie oder Ihre Abteilung? »

    « Ich schätze, wir haben einen Hut rumgehen lassen.»
    « Und Sie fragen ausgerechnet mich, warum ich keine Blu men mitgebracht habe.»
    « Kommen Sie, Gunther», lachte Shields. « Es gibt unter euch nicht einen, der nicht bei irgendeiner Schieberbande die Finger drin hätte. Jeder von euch wechselt Schilling in Besatzungsgeld oder verkauft Zigaretten auf dem schwar zen Markt. Wissen Sie, manchmal glaube ich, daß die Österreicher mehr Geld durch Gesetzesbrüche verdienen als
    WIr.»
    « Das kommt daher, daß Sie Polizist sind.»
    Wir fuhren durch das Haupttor auf die Simmeringer Hauptstraße und hielten an der Straßenbahnhaltestelle, wo bereits zahlreiche Menschen außen an einer überfüllten Stra ßenbahn hingen wie hungrige Ferkel am Bauch der Sau.
    « Sind Sie sicher, daß ich Sie nicht in die Stadt mitnehmen soll?» fragte Shields.
    « Nein, danke. Ich habe hier bei einem der Stein metze noch etwas zu erledigen.»
    « Nun, es ist Ihre Beerdigung», sagte er grinsend und fuhr los. Ich ging an der hohen Mauer des Friedhofs entlang, wo, wie es schien, die meisten Wiener Handelsgärtner und Stein metzen ihre Läden hatten, und begegnete einer mitleiderre genden alten Frau, die mir entgegenkam. Sie hielt eine jäm merliche Kerze in die Höhe und fragte mich, ob ich Feuer hätte.
    « Hier », sagte ich und gab ihr das Heftchen, das ich von Shields bekommen hatte.
    Als sie Anstalten machte, nur ein Hölzchen zu nehmen, sagte ich ihr, sie solle das Heftchen behalten. « Ich kann's mir nicht leisten, dafür zu bezahlen», sagte sie mit ehrlichem Be dauern. Genau so, wie man sicher weiß, daß ein Mann, der auf die Straßenbahn wartet, auf seine Uhr blicken wird, so si cher war ich, daß ich Shields wiedersehen würde. Aber ich wünschte ihn mir in diesem Augenblick zurück, damit ich ihm einen Österreicher zeigen konnte, der sich nicht einmal ein Streichholz leisten konnte, von einem Fünfzig-Schilling Strauß ganz zu schweigen.
    Josef Pichler war typischer Österreicher: kleiner und dün ner als der normale Deutsche, mit blasser, weich aussehender Haut und einem spärlichen, schwach entwickelten Schnurr bart. Die Armesündermiene auf seiner langgezogenen Visage verlieh ihm das Aussehen eines Mannes, der zuviel von dem lächerlich jungen Wein gekostet hat, den die Österreicher of fenbar für trinkbar halten. Ich traf ihn auf seinem Hof, wo er den Entwurf für eine Inschrift mit der fertigen Ausführung auf dem Stein verglich.
    «Grüß Gott », sagte er grämlich.
    Ich erwiderte den Gruß. «Sind Sie Herr Pichler, der be rühmte Bildhauer?» fragte ich. Traudl hatte mir gesagt, daß die Wiener eine Schwäche für hochtrabende Titel und Schmeicheleien hätten.
    «Der bin ich», sagte er mit einem leichten Anflug von Stolz.
    « Erwägt der gnädige Herr, ein Denkmal zu bestellen? » Er sprach, als sei er der Kurator einer Kunstgalerie in der Do rotheengasse gewesen. «Ein schöner Grabstein vielleicht.» Er zeigte auf einen großen Brocken polierten schwarzen Mar mors, in den Namen und ein Datum eingehauen und mit Gold ausgemalt waren. «Etwas in Marmor? Eine gemeißelte Figur? Eine Statue vielleicht? »
    «Um die Wahrheit zu sagen, ich bin nicht ganz sicher, Herr Pichler. Ich glaube, Sie haben kürzlich für einen Freund von mir ein schönes Denkmal geschaffen, für Dr. Max Abs. Er war so entzückt, daß ich mich fragte, ob ich mir nicht et was Ähnliches anfertigen lassen sollte.»
    «Ja, ich denke, ich erinnere mich an den Herrn Doktor.» Pichler nahm seinen Hut ab, der wie ein kleiner Schokola denkuchen aussah, und kratzte sich den grauen Kopf. «Aber der spezielle Entwurf ist mir im Augenblick nicht gegenwärtig. Erinnern Sie sich daran, welcher Art das Stück

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