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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan D. Vinge
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rufen, während sie schlaflos auf dem kalten Boden lag. Doch sie kehrte seiner Stimme den Rücken zu und blieb still liegen, bis sie schließlich doch vom Schlaf übermannt wurde.
     
    Shannon sank in die Polsterung des Sessels zurück und rieb sich den schmerzenden Kopf. Seine Lider glichen Schmirgelpapier, sein Körper fühlte sich zerschlagen an. Er betrachtete T’uupieh auf dem Schirm, die ihm störrisch den Rücken zukehrte, während sie neben dem Stickstofflagerfeuer schlief. „Okay, das war’s. Ich gebe auf. Sie hört nicht mal zu. Holt Reed und sagt ihm, ich höre auf.“
    „Du hörst damit auf, T’uupieh überzeugen zu wollen?“ fragte Garda. „Bist du sicher? Vielleicht kommt sie zurück. Du mußt dich etwas mehr auf … spirituelle Augenmerke konzentrieren. Wir müssen sicher sein, daß wir alles in unserer Macht Stehende versucht haben, um sie … umzustimmen.“
    Um ihre Seele zu retten, dachte er säuerlich. Garda hatte ihre früheste Ausbildung in einem Institut bekommen, das sich auf Bibelübersetzungen spezialisiert hatte. In den letzten Stunden erst hatte er herausgefunden, daß sie insgeheim immer noch den Wunsch hegte zu bekehren. Was für eine Seele? „Wir vergeuden unsere Zeit. Es ist sechs Stunden her, seit sie mir den Rücken gekehrt hat. Sie kommt nicht zurück … Und mit Aufhören meine ich alles. Ich kündige. Ich will nicht nur spaßeshalber hier sein. Mir reicht’s.“
    „Das ist nicht dein Ernst“, sagte Garda. „Du bist müde, du mußt auch schlafen. Wenn T’uupieh erwacht, kannst du wieder mit ihr reden.“
    Er schüttelte den Kopf und strich sein Haar zurück. „Vergeßt es. Ruf bitte Reed.“ Er sah zum Fenster hinaus, wo die Dämmerung die nebelverhangene Meeresoberfläche vom Himmel trennte.
    Garda zuckte beleidigt mit den Achseln und ging zum Telefon.
    Er betrachtete die Tasten des Synthesizers, die immer noch hell erleuchtet warteten und seine bleiernen, müden Hände zu bitten schienen, es noch einmal zu versuchen. Wenigstens würde seine letzte Erklärung, die er abgeben mußte, nicht an die Ohren der Öffentlichkeit gelangen, denn er bezweifelte, daß sich jetzt noch ein Reporter hinter den Glaswänden des Beobachtungsraumes befand. Früher am Abend waren die Fragen endlos gewesen, sie hatten seine Gefühle und Absichten und Motive sondiert, sie hatten sich nach der Moral, Robin Hoods’ beziehungsweise nach deren Fehlen erkundigt, auch nach seiner eigenen, wie auch nach hundert anderen Dingen, die außer ihm keinen etwas angingen.
    Auch die Musikbranche hatte einst Ähnliches mit ihm versucht – aber damals hatte es Agenten und Publicityleute gegeben, die ihn beschützten. Und nun, da er ihn so sehr gebraucht hätte, gab es keinen Schutz, nur Reed am Mikrophon, der den Raum absichtlich in eine Kabarettshow umwandelte, mit ‚Shann the Man’ als Hauptattraktion, bis Shannon angefangen hatte, sich wie ein Mann zu fühlen, den man mit Honig eingeschmiert und auf einem Ameisenhaufen festgebunden hat. Die Reporter sahen von ihrem hohen Roß herunter und kritisierten seine und T’uupiehs Antworten, sie lärmten ständig in den Pausen herum, die er zum Nachdenken gebraucht hätte, und belästigten ihn mit ihren Fragen. Reeds Erfolg aber war vollkommen gewesen. Während sie versuchten, Unschuldige vor der Rache T’uupiehs zu retten, rang er jedes Tröpfchen Pathos und Schau aus der Sache heraus – und das war der Grund, weshalb er versagt hatte.
    Nein. Er setzte sich auf, um den Schmerz in seinem Rücken zu lindern. Nein, er konnte nicht Reed allein die Schuld geben. In dem Augenblick, wo seine Botschaften wirklich etwas bedeutet hatten, hatten die Reporter ihn aufgegeben. Die Schuld an dem Versagen lag bei ihm, einzig und allein bei ihm. Seine Kunstfertigkeit war nicht groß genug, seine Botschaften waren nicht überzeugend genug gewesen – er war derjenige, der nicht deutlich genug durch T’uupiehs Augen sehen konnte, um sie auch durch seine eigenen sehen zu lassen. Ein einziges Mal in seinem Leben hatte er die Chance echter Kommunikation gehabt, die Chance, etwas Bedeutsames zu übermitteln. Und er hatte sie vertan.
    Eine Hand griff an ihm vorbei und stellte eine Tasse dampfenden Kaffee auf die Konsole. „Eines muß man diesem Computer lassen“, sagte eine leise Stimme. „Er ist auf ausgezeichneten Kaffee programmiert.“
    Er lachte, unerwartet und verblüfft, und sah auf. Das Gesicht seiner Mutter sah ausgezehrt und müde aus, auch sie hatte eine

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