Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
gefällt.“
„Meinen Sie, mir gefällt das?“
„Nicht?“
Reed zögerte. „Ich bin gut in dem Geschäft, und das allein zählt. Wenn Sie das vielleicht auch nicht glauben, ich bin immer noch Wissenschaftler, und ich sehe nur zu, daß die Forschung ihr Stückchen vom Kuchen abbekommt. Sie meinen, ich habe keinen plausiblen Grund, unsere Erkenntnisse zu veröffentlichen. Wissen Sie eigentlich, daß die NASA alle Daten der Neptunsonde verloren hat, weil irgend jemand es satt hatte, darauf zu warten, daß sie den Neptun erreichte, und uns die Gelder strich? Das wahre Problem mit diesen langwierigen Missionen zu den äußeren Planeten ist nicht die Genauigkeit und Verläßlichkeit der Instrumente, sondern einzig und allein das Geld. Das Publikum wird Millionen für eines Ihrer Konzerte ausgeben, aber keinen Cent für etwas, das es nicht versteht!“
„Ich mache nicht …“
„Die Leute wollen ihre Sorgen vergessen, sie wollen unterhalten werden – und wer kann ihnen daraus einen Vorwurf machen? Um also mit Sport und Filmen konkurrenzfähig bleiben zu können, müssen wir den Leuten bieten, was sie wollen. Meine Aufgabe ist es, ihnen das zu verschaffen, damit die „wahren Wissenschaftler“ in ihren Labors zwischen technischem Gerät für Milliarden von Dollars sitzen und vom „Respekt vor der Forschung“ daherlabern können.“
Er verstummte. Shannon sah ihn störrisch nicht an. „Denken Sie darüber nach. Und wenn Sie mir sagen können, inwieweit das, was Sie als Musiker getan haben, moralisch vertretbarer oder überlegener ist als das, was Sie hier tun, dann können Sie in mein Büro kommen und mir erzählen, wer von uns beiden der größere Heuchler ist. Aber denken Sie zuerst darüber nach – und das gilt für Sie alle.“ Reed wandte sich um und verließ die Kabine.
Sie sahen einander stumm an, bis die Schwingtür zur Ruhe gekommen war. „Tja …“ Garda betrachtete ihre Krücke, dann ihren Mantel. „Gar nicht so dumm, was er gesagt hat.“
Shannon beugte sich nach vorn, um die nüchterne Schönheit des Computerterminals zu betrachten, die Kombination von Chagrin und Koffein spülte seine Müdigkeit hinweg. „Das weiß ich auch, aber darauf wollte ich eigentlich gar nicht hinaus. Ich wollte T’uupiehs Einstellung nicht verändern und auch nicht kündigen, nur weil es mir nicht gefällt, wie dieses Projekt verkauft wird. Mir paßt die Art nicht, wie es verkauft wird. Wie eine mordlüsterne Showperversion – und das ertrage ich nicht.“ Als er noch ein Kind gewesen war, erinnerte er sich, waren Rockkonzerte etwas Anrüchiges gewesen, aber heute waren sie so respektabel wie Symphoniekonzerte, verglichen mit den „Nervenkitzel-Shows“, die entstanden waren, während er aufwuchs: „Experten“ kämpften für eine Belohnung von einer Million Dollar um ihr Leben, während eine sensationslüsterne Menge zusah, die darauf wartete, daß sie verloren … Masochisten lebten davon, sich selbst verstümmeln zu lassen … Filme wurden gezeigt, in denen man Menschen tötete, buchstäblich abschlachtete …
„Ich meine, ist das wirklich das, was jeder will? Tut es den Leuten wirklich gut zu sehen, wie andere verletzt werden? Oder empfinden Sie eine Art von moralischer Überlegenheit, daß so was auf Titan und nicht hier geschieht?“ Er sah hoch zum Schirm, zu T’uupieh, die immer noch schlafend dalag, unbewegt und unbeweglich. „Wenn es mir gelungen wäre, T’uupiehs Einstellung zu verändern oder überhaupt einen Wechsel dort oben herbeizuführen, dann hätte ich Grund zur Freude gehabt, wenn vielleicht auch nur über mich selbst. Aber wem sage ich das?“ T’uupieh hatte von Anfang an recht gehabt, und nun mußte er sich das selbst eingestehen: Es gab keinen Weg, jemanden zu verändern. „T’uupieh ist genau wie alle anderen, sie würde ihre Hand lieber abhacken, als die Hand eines anderen zu schütteln – und wenn sie das stellvertretend für uns tut, sind wir kein bißchen besser. Und werden es auch niemals sein.“ Die Worte eines Liedes von Pete Seeger, älter als er selbst, kamen ihm ironischerweise in den Sinn: „,Die Hände eines einzigen Menschen können allein nichts aufbauen …’“ Er schaltete den Monitor ab.
„Du brauchst Schlaf … wir alle brauchen Schlaf.“ Garda erhob sich steif aus ihrem Sessel.
„,… doch wenn einer und noch einer und fünfzig, wenn eine Million sich zusammenfinden …’“ ergänzte seine Mutter das Zitat leise.
Shannon wandte sich ihr zu und
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