Bernsteinsommer (German Edition)
ja nicht wissen. Ich bin dir nicht böse, Kira. Wirklich nicht!“ Er holte tief und gründlich Luft. „Die Geschichte liegt schon einige Jahre zurück. Vielleicht kann ich … vielleicht werde ich irgendwann einmal in der Lage sein, darüber zu reden, aber nicht jetzt – und nicht heute, okay?“
„Du musst dich vor mir nicht rechtfertigen.“ Sie sah zu ihm auf und konnte plötzlich nur noch daran denken, wie sehr sie nach seiner Umarmung verlangte oder auch nur nach einer einzigen Berührung seiner kräftigen Hände. Das sehnsuchtsvolle Ziehen in ihrer Brust ließ ihr Herz schneller schlagen.
„Danke.“ Noch einmal atmete er geräuschvoll ein und wieder aus. „Hör zu, wir … heute ist doch Samstag, oder? Was hältst du davon, wenn wir runter zum Anleger fahren und einen Blick in den Gasthof werfen? Hab gehört, da soll am Samstagabend ordentlich was los sein.“
Sie standen sich gegenüber und sahen sich an. Sekundenlang. Dann senkte sich Kiras Blick, und sie starrte eine weitere endlose Sekunde auf seine breite Brust, an die sie sich in diesem Augenblick so gerne geschmiegt hätte. Als ob er ahnte, was sie gerade dachte, verschränkte er in genau diesem Moment die Arme und trat einen weiteren Schritt zurück. Kira räusperte sich und nickte. „Gute Idee. Ich hol mir nur eine wärmere Jacke von oben.“
Nebelschwaden zogen wie dicke Wattepakete über die Insel hinweg. Finn fuhr langsam, denn hier war man allein auf die Scheinwerfer des Autos angewiesen. Straßenlaternen gab es auf Sameland nur im Dorf, unten am Fähranleger. Kira saß stumm auf dem Beifahrersitz und starrte aus dem Seitenfenster. Finns Blick streifte ihr Haar, das sogar hier in der Dunkelheit zu leuchten schien, und sofort umfassten seine Finger das Lenkradnoch ein wenig fester. Es war wichtig gewesen, dass sie das Haus verlassen hatten, beruhigte er sich. Er hätte es nicht mehr viel länger ertragen – allein mit ihr. Sein Verlangen war von Minute zu Minute größer geworden, und er konnte sich nicht daran erinnern, jemals eine Frau so sehr begehrt zu haben wie jetzt Kira Lengrien. Und nun hieß es nur noch, irgendwie diese verdammte Autofahrt zu überstehen. Hier war sie ihm viel zu nah für seinen Geschmack. Ihr Anblick versetzte ihn in einen bedauernswerten Zustand, und ihr Duft berauschte seine Sinne. Möglichst unauffällig versuchte er, eine etwas angenehmere Sitzposition zu finden.
Angestrengt heftete er seinen Blick wieder auf die Straße.
Sie hatten nicht mehr miteinander gesprochen, seit sie im Auto saßen, und Finn hatte das dringende Bedürfnis, diese Stille zwischen ihnen wieder zu durchbrechen.
„Ich war heute spazieren“, sagte er, ohne seinen Blick von dem schmalen Sandstreifen der Straße vor ihnen zu nehmen. „Ich war oben an der Nordspitze.“
„Hmm, es ist schön dort, oder? So … ursprünglich.“
„Ja. Es ist schön dort.“ Er räusperte sich und warf ihr einen schnellen Seitenblick zu. „Wir könnten bei Gelegenheit ja mal zusammen dorthin gehen.“
„Ja, sicher.“ Kira hatte weiterhin konzentriert aus dem Seitenfenster gesehen, doch nun wandte sie sich ihm zu. „Willst du wirklich in den Gasthof?“ Ihre Stimme klang ein wenig heiser.
„Ja.“ Seine Finger verkrampften sich. „Ja, zum Teufel! Ich will in den Gasthof.“
„Halt an!“
„Was?“
„Halt sofort an, Finn.“
Er stöhnte auf und brachte den Wagen zum Stehen, aber er sah sie nicht an. Seine Hände blieben am Lenkrad, und er blickte stur geradeaus durch die Windschutzscheibe in den Nebel.
„Und jetzt? Hast du vielleicht irgendwas vergessen? Soll ich zurückfahren?“
„Oh Finn.“
Ihr Blick streichelte sein Profil. Dann hob sie langsam ihre linke Hand und fuhr ihm sanft durchs Haar. Er zuckte heftig zusammen unter dieser allzu zärtlichen Berührung, und seine Kiefer mahlten. Trotzdem blieb sein Blick fest nach vorne gerichtet.
„Kann ich jetzt weiterfahren?“, fragte er leise. Kira schloss kurz die Augen und ärgerte sich darüber, dass sie plötzlich gegen aufsteigende Tränen ankämpfen musste.
„Ja.“
„Gut.“
Ohne zu zögern legte er den Gang wieder ein und fuhr los. Kira atmete gründlich ein und wieder aus, um sich zu beruhigen. Warum war sie sich so sicher gewesen, er würde nur noch auf eine weitere Gelegenheit oder auf ein Zeichen von ihr warten? Warum hatte sie geglaubt, er würde sie sofort an sich ziehen, wenn sie ihm zu verstehen gab, dass sie noch immer dazu bereit war? Es sind seine Augen,
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