Bernsteinsommer (German Edition)
rede wenigstens mit ihr – und zwar vorher, hörst du! Leg die Karten auf den Tisch. Sag ihr, warum du wirklich auf dieser Insel bist. Wenn sie etwas für dich empfindet, wird sie deine Lage verstehen.“
„Du kennst sie nicht, Lukas. Sie ist … sie hat ihre festen Vorstellungen von Männern in meinem Beruf. Verstehst du, sie ist ganz anders aufgewachsen als wir. Außerdem ist sie … verdammt noch mal, ich will diese Frau ja schließlich nicht gleich heiraten, ich will … ich will sie ja nur …“
„Ich weiß, was du willst!“, unterbrach Lukas seinen Bruder schnell. „Ich kenne deine Einstellungen zu diesem Thema zur Genüge, mein Großer.“
„Im Grunde hältst du mich für den allerletzten Typen, nicht wahr?“
„Nein, ich glaube nur, dass du ein wenig dazu neigst, dich in deinen eigenen festen Vorstellungen und Grundsätzen zu verrennen. Du machst dir selbst das Leben schwer, Finn.
Sieh dich an! Du empfindest etwas für einen anderen Menschen und schiebst diese Gefühle sofort in eine bestimmte Schublade – natürlich sorgst du so in allererster Linie dafür,dass deine selbst auferlegte Isolation in keinem Fall durchbrochen werden kann.“
„Danke für die schnelle Psychoanalyse, Professor!“
Lukas ging nicht auf die sarkastische Bemerkung seines Bruders ein. „Das Schlimmste daran ist aber, dass du das Gleiche mit der Frau machst, die dich so bezirzt hat.“
„Wie meinst du das denn jetzt?“
„Na, du schiebst auch sie in eine von deinen Schubladen. Du hast dir deine Meinung über sie gebildet und basta. Du gibst ihr nicht die geringste Chance! Du kennst sie erst seit wenigen Tagen, und doch glaubst du fest daran, dass sie dich sofort zum Teufel jagen würde, wenn du ihr noch heute die Wahrheit über dich erzählst.“
„Ja, das würde sie auch tun.“
„Ja, wahrscheinlich hast du sogar recht, Finn. Sie wird es tun, denn du wirst nicht mit ihr sprechen! Du wirst sie weiterhin anlügen! Und dann, wenn sie es schließlich herausfindet, dass du ihr die ganze Zeit etwas vorgemacht hast, hat sie, meiner Ansicht nach, auch allen Grund dazu, dich in die Wüste zu schicken!“
„Verflucht, Lukas!“
„Du hast mich nach meiner Meinung gefragt.“
„Ja.“
Lukas lachte. „Herrje, Finn! In Wahrheit wolltest du dich nur aussprechen und gar keinen Rat von mir hören, stimmt’s? Aber damit kann ich ganz gut leben.“
„Ehrlich?“
„Ja, absolut. Du tust ja sowieso, was du willst. Das hast du immer schon getan. Ich bin jedenfalls für dich da, wenn du mich brauchen solltest.“
„Danke, Professor. Sag, wie geht es dir denn so?“
„Mhmm. Bist du daran jetzt wirklich interessiert? Es ist fast zwei Uhr.“
„Ich bin komischerweise hellwach – und ja, es interessiert mich wirklich, wie es dir geht.“
„Ich habe vorigen Monat meinen Lehrerjob an den Nagelgehängt und arbeite jetzt nur noch sporadisch an der Uni. Dann und wann ein Seminar, mehr ist nicht mehr drin.“
Finn stieß ein leises Lachen aus. „Na hör mal, ich dachte immer, du brauchst den Dozentenjob.“
„Ich habe mein Buch an den Mann beziehungsweise an den Verlag gebracht, Finn.“
„Ist nicht wahr! Mein kleiner Bruder, der Schriftsteller.“
„Tja. In ein paar Monaten kommt es auf den Markt.“
„Ich fasse es ja wohl nicht.“
„Was soll das denn heißen? Du hast doch immer behauptet, dass ich es irgendwann schaffen werde.“
„Ja klar, aber … du hast immer dagegengehalten, dass es schon genug Autoren gäbe, die diese tausendseitigen historischen Schinken schreiben würden.“ Finn grinste seinen leeren Kaffeebecher an und schob ihn auf dem Frühstückstresen ein bisschen hin und her. „Mann, ich bin echt stolz auf dich, Bruderherz!“
„Danke, Finn, das bedeutet mir sehr viel.“
„Und jetzt? Viel Arbeit?“
„Na, es geht. Die Arbeit ist für mich eigentlich erst einmal getan. Die Werbetour startet erst in zwei Monaten. Im Augenblick habe ich nicht viel zu tun. Ich schreibe bereits am nächsten Buch, lese und recherchiere ein bisschen, wie immer – ansonsten … Sag mal, wo liegt eigentlich diese gottverdammte Insel, auf der du dein Unwesen treibst?“
„Warum?“
„Nun, ich könnte doch einen kleinen Abstecher machen und dich für ein paar Tage besuchen. Vorlesungen habe ich im Moment so gut wie keine. Es würde also passen. Und lesen und schreiben kann ich schließlich überall.“
„Hey, das wäre großartig! Ich müsste natürlich zuerst Martinelli fragen, ob … aber das geht
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