Berthold Beitz (German Edition)
Ernst Wolf Mommsen und Willy Ochel, ehemaliger Vorstandschef von Hoesch und nun Krupp-Aufsichtsrat. Otto Wolff von Amerongen hat es nicht gewagt, den Aufruf zu unterstützen, aus Sorge, den Deutschen Industrie- und Handelstag, dem er als Präsident vorsteht, in den Streit der Parteien zu verwickeln. Noch immer steht die Front der Industriellen gegen die Ostpolitik; sie bröckelt erst nach Brandts großem Wahlsieg im November 1972.
In der ersten Hochphase der Entspannung wird es auch einfacher für Beitz, die polnische Seite in humanitären Fragen großzügiger zu stimmen. Über Lachowski kann er eine Reihe von politischen Häftlingen herausholen; polnische Mittelsmänner schlagen ihm gelegentlich sogar den Austausch von Gefangenen vor. Dann schreibt Beitz wieder einmal an Lachowski, dieser möge doch mit seinen »Freunden über eine großzügige Regelung dieser Angelegenheit sprechen«.
1972 hält Beitz eine Grundsatzrede vor dem Polnischen Institut für Internationale Beziehungen in Warschau, in der er die neue Ostpolitik Brandts und Scheels für »den entscheidenden Durchbruch« und den »grundsätzlichen Wandel« der deutschen Politik gegenüber Polen lobt. Er selbst habe nach dem Krieg »nicht gedacht, daß der Prozeß der Verständigung so lange dauern würde«. Und er fügt an: »Wir werden die Grundunterschiede zwischen den Systemen, in die sich unsere Länder eingefügt haben, nicht aufheben können. Aber es soll unser Ziel sein, die Schärfe und Trennwirkung dieser Unterschiede nach Kräften zu mildern.«
Gerade aber wegen der anhaltenden Widerstände in Deutschland gegen die Neue Ostpolitik will der Kanzler Beitz’ vielfältige Verbindungen hinter den Eisernen Vorhang und das große Renommee des Krupp-Aufsichtsratschefs dort nutzen. 1972 schickt Brandt seinen Kanzleramtsminister Horst Ehmke vor, der, wie sich Beitz erinnert, gleich zur Sache kommt: »Berthold, du sollst Botschafter in Warschau werden! Der Willy will das so.« Beitz lehnt spontan ab, doch der Emissär aus Bonn drängt: »Aber der Willy will das wirklich.« Der Umworbene: »Aber ich gehe nicht.«
Er würde seine Unabhängigkeit verlieren, fürchtet er, Teil des politischen Apparats und seiner Hierarchien werden, von denen er sich stets ferngehalten hat. Er ändert seine Meinung auch nicht, als Brandt ihm den Botschafterposten in Moskau anbietet. Zu Ehmke sagt Beitz: »Horst, ich will dir mal erzählen, was passieren würde, wenn ich dieses Angebot annehme. Ich bin dann Botschafter in Moskau, und dann kommt irgendein Minister angereist, und ich muss am Flugzeug stehen und ihn abholen. Und nachher erzählt er mir, mein Hotelzimmer hat mir nicht gefallen, Herr Beitz, schauen Sie, dass das nicht mehr vorkommt. Solche Sachen passieren zwei-, dreimal, und dann sage ich denen in Bonn: Ihr könnt mich mal.« Und das wäre schwerlich der richtige Schlusspunkt für Beitz’ Mission in Osteuropa.
So bleibt er ein Weggefährte der neuen Ostpolitik. Am 20. Mai 1973 kommen Beitz und Otto Wolf von Amerongen in den neuen Bonner Kanzlerbungalow. Dort, im Konferenzsaal, ist KPdSU -Chef Leonid Breschnew zu Gast und macht einer Runde von Wirtschaftsgrößen Hoffnungen auf große, langfristige Aufträge aus seinem Imperium – immer vorausgesetzt, die deutsche Politik bleibe auf Ausgleichskurs mit Moskau. Die Deutschen erleben einen machtvollen Mann, den der Reporter Hans-Ulrich Kempski anschaulich beschreibt: »mit einer Miene tiefer Aufrichtigkeit undbilderreich sprechend, dabei aber stets die Autorität eines Befehlshabers demonstrierend, dem Gehorsamsverweigerung fremd ist«.
Beitz wird noch manche Reise in den Osten unternehmen und manche Delegation begleiten. 1973 schließt Krupp ein Abkommen über wissenschaftlich-technische Zusammenarbeit mit der UdSSR , 1976 ein ähnliches mit der Volksrepublik Polen. Jetzt, da seine einst so einsame Haltung gegenüber Osteuropa zur offiziellen Politik der Regierung geworden ist, ist die Pionierrolle für Berthold Beitz vorüber.
YES-MAN UND NO-MAN: MACHTKÄMPFE BEI KRUPP
Beitz im Ruhestand, die Lorbeeren eines langen Berufslebens genießend, ein charmanter elder statesman für Festreden und Empfänge: Das wäre der Wunschtraum von Krupp-Vorstandschef Günter Vogelsang gewesen. Aber Beitz ist geblieben, und Vogelsang hat 1972 das Handtuch geworfen. Sein Nachfolger wird Jürgen Krackow. Der ehemalige Panzer-Oberleutnant pflegt sich in der Freizeit bei der Haijagd in rauen Wassern zu entspannen. Im Dienst gilt er
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