Bertrams Hotel
sofort wurde die Tür hinter ihm geschlossen.
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass du dich hier aufhalten würdest, Bess, nicht den leisesten Schimmer.«
»Das kann ich mir denken.«
»Ich meine – ich hätte sonst Elvira nicht hierhergebracht. Elvira ist nämlich hier. Weißt du das?«
»Ja, ich habe euch gestern Abend zusammen gesehen.«
»Aber ich wusste wirklich nicht, dass du hier wohnst. Ich fand es unwahrscheinlich, dass wir dir hier begegnen würden.«
»Ich sehe nicht ein, weshalb nicht«, entgegnete Bess in kühlem Ton. »Es ist das bei Weitem behaglichste Hotel in London. Warum sollte ich nicht hier meine Zelte aufschlagen?«
»Du musst verstehen, dass ich keine Ahnung hatte… ich meine…«
Sie blickte ihn an und lachte. Sie war zum Ausgehen angezogen und trug ein gut geschnittenes dunkles Kostüm und eine leuchtend smaragdgrüne Hemdbluse. Sie wirkte heiter und höchst vital. Im Vergleich zu ihr sah Colonel Luscombe ziemlich alt und verschlissen aus.
»Liebster Derek, spar dir die Sorgenfalten. Ich bezichtige dich ja nicht des Versuchs, eine sentimentale Begegnung zwischen Mutter und Tochter zu inszenieren. Es ist eben ein unglückseliger Zufall. Aber du musst Elvira fortschaffen, Derek. Du musst sie sofort aus diesem Hotel entfernen – heute noch.«
»Oh, sie geht wieder. Ich meine, ich habe sie nur für zwei Nächte einquartiert. Will sie heute Abend ins Theater ausführen – und dergleichen. Sie fährt morgen zu den Melfords.«
»Arme Elvira, das wird recht langweilig für sie sein.«
Luscombe sah sie bestürzt an. »Glaubst du wirklich, dass sie sich sehr langweilen wird?«
Bess hatte Mitleid mit ihm.
»Nachdem sie in dem italienischen Pensionat eingekerkert war, wahrscheinlich nicht. Vielleicht findet sie es sogar wahnsinnig aufregend.«
Luscombe nahm seinen ganzen Mut zusammen.
»Hör mal zu, Bess, ich war zwar entsetzt, als ich dich hier sah, aber meinst du nicht – hm, weißt du, man könnte es gewissermaßen als Fügung betrachten. Ich meine, es wäre vielleicht eine günstige Gelegenheit… ich glaube nicht, dass du dir richtig klarmachst – hm –, was das Mädchen dabei empfindet.«
»Auf was willst du eigentlich hinaus, Derek?«
»Na, weißt du, du bist doch schließlich ihre Mutter.«
»Natürlich bin ich ihre Mutter. Sie ist meine Tochter. Und was haben wir davon gehabt? Was wird es uns jemals nützen?«
»Das kannst du nicht wissen. Ich glaube – ich glaube, sie leidet darunter.«
»Wie kommst du denn auf diese Idee?«, fragte Bess Sedgwick in scharfem Ton.
»Eine Äußerung, die sie gestern machte. Sie erkundigte sich nach dir, wo du bist und was du machst.«
Bess Sedgwick durchquerte das Zimmer und trat ans Fenster. Dort blieb sie einen Augenblick stehen und trommelte gegen die Scheibe.
»Du bist so nett, Derek«, sagte sie nach einer Weile. »Du hast so hübsche Einfälle. Aber sie sind nicht praktisch, mein Lieber. Das musst du dir selber sagen. So geht es nicht, und es könnte sogar gefährlich sein.«
»Nun mach aber einen Punkt, Bess. Gefährlich?«
»Ja, ja, ja. Gefährlich. Ich lebe nun einmal gefährlich. Das war nie anders.«
»Wenn ich an so manches denke, was du dir geleistet hast«, meinte Colonel Luscombe.
»Das ist meine Angelegenheit«, erwiderte Bess. »Mich in Gefahr zu begeben ist bei mir schon zu einer Art Gewohnheit geworden. Nein, Gewohnheit ist vielleicht nicht der richtige Ausdruck. Es ist eher eine Sucht. Gefahr ist für mich wie ein Rauschgift. Sie wirkt wie das nette Portiönchen Heroin, das die Süchtigen von Zeit zu Zeit haben müssen, damit ihnen das Leben rosig und lebenswert erscheint. Nun, das ist ganz in Ordnung. Ich trage meine eigene Haut zu Markte – oder auch nicht – je nachdem. Doch Menschen, die wie ich leben, können anderen viel Schaden zufügen. Nun sei kein dickköpfiger alter Narr, Derek. Halt mir das Mädchen vom Leibe. Wenn möglich, erzähl ihr nicht einmal, dass ich im selben Hotel wohnte. Ruf die Melfords an und bring sie heute noch hin. Unter irgendeinem Vorwand…«
Colonel Luscombe zupfte zaudernd an seinem Schnurrbart. »Ich glaube, du begehst einen großen Fehler, Bess.« Er seufzte. »Sie fragte mich, wo du bist, und ich sagte ihr, du seist im Ausland.«
»Nun, das trifft nach weiteren zwölf Stunden zu. Also hast du ihr die richtige Antwort gegeben.«
Sie trat an ihn heran, küsste ihn aufs Kinn und drehte ihn mit einer schwungvollen Bewegung herum, als wollten sie Blindekuh spielen. Dann
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