Beruehre meine Seele
Andererseits wäre es bestimmt sehr schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen, eine Sache wie diese vor ihm geheim zu halten. Aber jetzt sah er mich an wie eine zerbrechliche Glasfigur, die beim leisesten Windzug in tausend Stücke zerspringen würde. Als müsste ich beschützt und alles Böse dieser Welt von mir ferngehalten werden.
„Ja. Danke“, sagte ich, allerdings mehr, um die Gefühle meines Dads nicht zu verletzen.
Hinter mir fiel die Haustür ins Schloss, und ich drehte mich um, weil ich vermutete, Todd sei nach mir hereingekommen – doch Fehlanzeige, da war niemand.
„Hast du Hunger?“, erkundigte sich mein Vater, und ich starrte ihn für einen Augenblick verständnislos an, bis ich begriff, was er da tat. Er versuchte, sich um mich zu kümmern, auf die einzige Weise, die seines Wissens immer funktionierte. Er konnte vielleicht nicht mein Leben retten – nicht dieses Mal –, aber er konnte für mein leibliches Wohl sorgen, denn Essen hielt bekanntlich Körper und Seele zusammen.
„Nein. Aber trotzdem danke.“ Ich setzte Styx auf den Boden, und sie hopste sofort auf den Sessel meines Dads und schaute von ihrer neuen erhöhten Position aus wachsam in den Flur, ob dort auch alles seine Richtigkeit hatte.
„Kein Popcorn zum Film?“
„Mir ist irgendwie nicht mehr so wirklich nach DVD gucken.“ Ein sentimentaler Schmachtfetzen war keine gute Idee, wenn man die Neuigkeit verdauen musste, dass es mit einem bald zu Ende ging. „Ich glaube, wir hängen einfach ein bisschen in meinem Zimmer rum.“ Ich zupfte Nash am Ärmel, und er folgte mir bereitwillig, obwohl er aussah, als könne er nicht genau sagen, ob ich jetzt gerade dabei war, wieder zur Vernunft zu kommen, oder kurz davor stand, völlig durchzudrehen.
„Lasst die Tür offen“, sagte mein Dad – die am zweithäufigsten gebrauchte Warnung in seinem Arsenal –, und gleich danach: „Nash, vielleicht ist es am besten, wenn du nach Hause gehst.“
Am liebsten hätte ich angesichts der Absurdität laut gelacht. Mir blieben noch sechs Tage zu leben, und mein Vater sorgte sich, was Nash und ich hinter verschlossener Tür in meinem Zimmer treiben könnten?
Ich ließ Nash los und verschränkte die Arme vor der Brust, während ich überlegte, wie ich nun am besten sagte, was einfach mal gesagt werden musste. „Dad, das soll jetzt keine Kritik an deinem Erziehungsstil sein, der ist absolut in Ordnung, okay? Aber ich habe nur noch sechs Tage zu leben. Ich werde niemals volljährig sein. Ich schaffe es nicht mal bis zu meinem siebzehnten Geburtstag. Der einzige Teil meines Erwachsenenlebens, der mir vergönnt sein wird, ist das, was ich an Erlebnissen innerhalb der nächsten Woche zusammenkratzen kann. Also würde ich ganz gern diese sechs Tage – meine letzten sechs Tage – als gleichberechtigte Minderjährige verbringen.“ Oder auch als Erwachsene ehrenhalber, je nachdem, wie man es betrachten wollte.
„Kaylee …“ Dads Stimme klang dunkel, warnend, aber ich hörte noch etwas anderes mitschwingen. Angst. Um mich.
„Ich sage ja nicht, dass ich ausziehen will, damit ich in Ruhe so viel Mist wie möglich bauen kann“, beruhigte ich ihn, in der Hoffnung, uns beiden dadurch einen elterlichen Totalausraster zu ersparen. Seine letzten Erinnerungen an mich sollten schließlich nicht von einem Wutausbruch überschattet werden, der ihm hinterher leidtat. „Es geht mir bloß darum, dass ich meine letzte Woche auf Erden nicht verschwenden und einem Haufen Regeln gehorchen will, die im Grunde für mich gar nicht mehr gelten. Ich meine, würdest du einer achtzigjährigen Oma mit Krebs im Endstadium etwa sagen, sie solle ja ihre Tür offen lassen?“
„Du wirst nicht sterben, Kaylee.“ Mein Vater blickte mich finster an, und er verschränkte ebenfalls die Arme vor der Brust, so wie ich.
Skeptisch hob ich die Augenbrauen. „Weißt du was, das ich nicht weiß?“
„Ich weiß, dass ich einen Ausweg finde und wir beide eines Tages darüber lachen werden, wenn du eine alte Dame bist. Und ja, solltest du mit achtzig noch immer hier wohnen, werde ich dir verdammt noch mal ganz sicher raten, die Tür offen zu lassen, Fräulein.“
Ich verspürte einen Stich in der Brust und musste schlucken, um den Kloß loszuwerden, der sich in meinem Hals gebildet hatte. „Ich sag dir was – wenn ich Freitagmorgen noch am Leben bin, freue ich mich sogar darüber, wie ein Teenager behandelt zu werden, und du darfst mich maßregeln, so oft du willst.“
Das
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