Beruehre meine Seele
für eine Weile auf andere Gedanken bringen, falls dein Dad nicht da ist?“
„Er kommt nicht vorm Abendbrot nach Hause“, flüsterte ich zurück, und mein Puls geriet allein bei der Vorstellung ins Stolpern, mit dem weiterzumachen, was wir angefangen hatten.
Sabine räusperte sich, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen, doch es war schon zu spät. Coach Tucker, die Trainerin des Mädchen-Softball-Teams, kam energischen Schrittes den Flur hinuntermarschiert und direkt auf uns zu, mit dem rosafarbenen Verweisblock in der Hand. „Ich habe das gesehen, Mr Hudson“, rief sie, bereits mit einem roten Stift etwas auf den Block kritzelnd. Sie blieb vor uns stehen, riss den ersten Zettel ab und reichte ihn Nash. „Und Sie, Ms Cavanaugh. Kylee …“, murmelte sie, während sie den nächsten Verweis ausfüllte.
„Ich heiße Kaylee“, korrigierte ich.
„Mein Fehler.“ Sie strich durch, was auch immer sie geschrieben hatte, und fing von vorn an. „Und Ihr Fehler war dieses öffentliche schamlose Verhalten auf dem Schulgelände. Das wird Ihnen beiden eine Runde Nachsitzen einbringen.“
Ich schielte zu Nash, der mich angrinste, und das Braun und Grün seiner Augen tanzten schalkhaft durcheinander. Schulterzuckend stellte ich mich erneut auf die Zehenspitzen und küsste Nash, während ich mit der Trainerin redete. „Machen Sie besser gleich zwei draus.“
Es war ja nicht so, dass ich noch lang genug da wäre, um meine Strafe auch tatsächlich abzusitzen.
8. KAPITEL
„Wofür hast du die bekommen?“, flüsterte Emma mir zu. Sie starrte auf die Verwarnungszettel, die ich als Lesezeichen benutzte, um Kapitel fünfzehn in meinem Algebrabuch zu markieren.
„Öffentliche Zurschaustellung.“
„Beide?“
Ich hatte Nash und Sabine das Versprechen abgenommen, Emma nichts davon zu sagen, dass ich nur noch wenige Tage zu leben hatte, trotz unserer neuen Politik der „vollen Offenlegung“. Es schien mir einfach zu grausam, wenn sie bereits Tage vorher ständig daran denken musste, was kommen würde. Es war schon schwer genug für mich und Nash – Sabine hatte damit wohl keine solchen Schwierigkeiten –, und da sollte meine beste Freundin das nicht auch noch durchmachen müssen, wenn ich es ihr irgendwie ersparen konnte. Außerdem musste ich zugeben, dass es richtig guttat, mal ganz normal mit jemandem reden zu können, ohne dass die Stimmung gleich auf den Tiefpunkt sank, wenn ich den Raum betrat. Und daher konnte sie meine nachlässige Haltung gegenüber den Schulregeln auch nicht verstehen.
Ich grinste von einem Ohr zum anderen und zuckte mit den Schultern. „Ich nehme an, wir sahen nach dem ersten Mal nicht betreten genug aus.“
Emma starrte mich mit offenem Mund an, und ich lachte laut auf. Zu wissen, dass ich bald sterben würde, änderte einfach alles. Ich fürchtete keine Konsequenzen mehr – solange natürlich niemand verletzt wurde. Nashs Strafarbeiten zählten nicht, man würde sie ihm wohl kaum aufbrummen, wenn er um seine Freundin trauerte.
Somit konnte ich also tun und lassen, was ich wollte. Diese unglaubliche Freiheit – der einzige auch nur annähernde Lichtblick in dem ganzen Szenario – ließ mich schwindeln und machte mich vielleicht auch ein bisschen übermütig.
Ich konnte bis morgens um vier aufbleiben, mich ausschließlich von Pizza und Eiscreme ernähren. Ich konnte ausgehen bis spät in die Nacht. Ich konnte mich betrinken. Ich konnte Sex haben. Ich konnte mich piercen oder mir ein Tattoo stechen lassen. Ich konnte mitten in der sechsten Stunde im Französischunterricht aufstehen und Mrs Brown eröffnen, dass ich niemals Verwendung für die Plusquamperfekt-Konjugationen unregelmäßiger französischer Verben haben würde, und ja, das konnte ich mit absoluter Gewissheit behaupten!
Schon nächste Woche würde es niemanden mehr interessieren, ob ich zugenommen hatte oder im Unterricht eingeschlafen war – oder ob ich den ganzen Tag blaugemacht hatte. Wen kümmerte es noch, ob ich in Französisch durchfiel, mein Piercing sich entzündete oder ob ich schwanger war?
Der Gedanke an eine Schwangerschaft versetzte meinem aufwallenden Rebellionsdrang allerdings einen gehörigen Dämpfer, sofort hatte ich das Bild von Danica Sussman vor Augen, wie sie blutend auf dem Boden lag. Was mich wiederum an Mr Beck erinnerte, und als ich aufsah, kam er gerade durch den Mittelgang auf Emma und mich zu, den Stapel benoteter Matheklausuren in der Hand.
Für einen Moment hielt ich die Luft an, aus
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