Beruehre meine Seele
Angst, dass er nur einen Blick auf mich zu werfen brauchte und genau wissen würde, was ich gerade dachte. Das war gut möglich, wir wussten ja noch immer nicht, was er war. Als er schließlich nur meine Klausur mit der Schrift nach unten auf den Tisch vor mich hinlegte und zum nächsten Schüler weiterging, atmete ich erleichtert aus.
Na schön, ein paar Konsequenzen sind also doch noch wichtig …
Ich drehte den Test um. Zwei minus. Normalerweise hätte mich das geärgert. Ich stand auf Zwei plus in Algebra, und ich hatte vorgehabt, bis zum Ende des Schuljahres zumindest bis auf eine Eins minus zu kommen, hauptsächlich, weil ich sonst im Vergleich zu Nashs Noten – zumindest denen vor seiner Frost-Abhängigkeit – recht glanzlos ausgesehen hätte. Doch jetzt konnte eine Zwei minus mich nicht mehr erschüttern.
Mr Beck ging an der nächsten Reihe entlang wieder nach vorn. Er legte Emmas Klausur auf ihr Pult, doch anstatt weiterzugehen, lehnte er sich zu Emma vor und flüsterte ihr etwas zu. Sie nickte, und als er dann weiterging, strahlte sie wie ein Honigkuchenpferd.
„Was hat er gesagt?“ Ich lehnte mich über den Gang, als Mr Beck schon außer Hörweite war. Etwas Elementares musste hier falschgelaufen sein, wenn Emma in einem Test brilliert haben sollte, in dem ich nur knapp auf eine Zwei gekommen war.
Sie hob das Blatt an, damit ich die Note sehen konnte. Eine Fünf.
„Seit wann ist eine Fünf ein Grund, sich so zu freuen?“
„Er will nach der Stunde mit mir reden.“ Ihre Augen leuchteten derart vor Aufregung, dass ich eine Gänsehaut bekam. Em hatte die Mathearbeit versiebt.
Und damit war Mr Beck auf sie aufmerksam geworden.
„Was hat er denn nun gesagt?“ Ich hatte nach dem Unterricht auf Emma gewartet und begleitete sie nun den Flur entlang, nachdem sie aus Mr Becks Raum herausgekommen war. Mir war durchaus bewusst, dass sie eine Entschuldigung für ihr Zuspätkommen für die nächste Unterrichtsstunde hatte, ich hingegen nicht. Dann fiel mir wieder ein, dass es unwichtig war. Statt nächste Woche nachzusitzen, würde ich bei den Würmern schlafen.
„Das Übliche. Dass ich ein intelligentes Mädchen sei, mich aber nicht genug anstrengen würde. Und wie wichtig Mathematik für meine Zukunft wäre …“
Sie redete weiter, aber ihre Erklärungen gingen in dem allgemeinen Geräuschpegel auf dem Gang unter, als ich bemerkte, dass ich von zwei mir bekannten dunklen Augen fixiert wurde und mir eine Gänsehaut über den Rücken kroch. Thane stand am anderen Ende der Halle, in schwarzer Jeans und schwarzem T-Shirt lehnte er lässig an der Spindreihe, völlig reglos und unberührt von all dem Trubel und Lärm. Er studierte mich und lächelte leise vor sich hin, wohl wegen des Geheimnisses, das wir beide teilten. Über die Zukunft, die ich nicht mehr hatte. Über die letzten Augenblicke meines Lebens, die er zweifelsohne genießen würde.
„Kaylee?“ Emma stieß mir mit dem Ellbogen in die Seite. „Was ist los?“
„Nichts.“ Ich zwang mich, den Blick von dem Reaper abzuwenden, wusste ich doch sicher, dass niemand sonst ihn sehen konnte. Genauso sicher war ich, dass er mich weiter beobachten würde. „Was meintest du gerade …?“
„Mr Beck glaubt, ich bräuchte nur ein wenig Unterstützung, um aufzuholen.“
„Das war’s?“ Wenn das alles sein sollte, wieso strahlte Em dann so? Wie auf den Partys, wenn sich alle Köpfe im Raum zu ihr umdrehten, um sie tanzen zu sehen.
Emma stieß die Tür zu den Toiletten auf, und ich folgte ihr hinein, während die Schulglocke zur zweiten Stunde ertönte.
„Ja. Er ist der Meinung, dass ich mich mit entsprechender Nachhilfe leicht bis auf eine Zwei verbessern könne.“
„Und wer soll dir Nachhilfe geben?“ Bitte, bitte sag, dass das ein Mathegenie aus den höheren Klassen übernimmt .
„Das ist überhaupt das Beste. Er selbst wird mir Nachhilfe geben. Nach der Schule.“ Sie grinste mich im Spiegel an und kramte einen Lippenstift aus ihrer Schultasche. „Ich gehe mal davon aus, dass es bestimmt länger dauern wird, bis ich die komplexeren Konzepte begreife.“ Begeisterung blitzte in ihren Augen auf, und mir drehte sich der Magen um. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht.
Die Bücher an die Brust gepresst, lehnte ich mich gegen die Wand. Sabine hätte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen sollen, nicht Emma. Sabine konnte auf sich aufpassen, aber Emma hatte nicht die geringsten Selbstverteidigungsmöglichkeiten – natürlich bis
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