Beruehre meine Seele
spüren.
„Was sollte das eben alles?“, hakte sie nach. Sabine taxierte mich stumm, doch ohne ihr übliches hämisches Grinsen.
„Es ist nichts. Sorry. Ich bin einfach nur ziemlich gestresst wegen Beck. Letzte Nacht habe ich nicht viel Schlaf abbekommen.“
Em sah nicht überzeugt aus. „Vielleicht solltest du nach Hause gehen und dich hinlegen“, schlug sie vor. „Ich bin sicher, Nash könnte es arrangieren, dass sie dich gehen lassen.“ Ab und an konnte sein Einfluss ziemlich praktisch sein.
„Für ein Nickerchen habe ich keine Zeit. Mir geht’s gut.“
„Was meinst du, du hast keine Zeit?“
Mist! Reiß dich am Riemen, Kaylee! „Du willst dich also wirklich mit Mr Beck nach der Schule treffen?“
Für einen Moment runzelte Em wegen des abrupten Themenwechsels verwundert die Stirn, dann nickte sie. „Wenn du damit fertig bist, mich herumzukommandieren.“
Geräuschvoll atmete ich tief aus, dann sah ich sie an. „Em, ich versuche nur, dich zu beschützen. Aber wenn dir das Risiko von Schwangerschaft, Unfruchtbarkeit und Tod nicht ausreicht, damit du es dir noch einmal überlegst, bevor du den Lockvogel spielst … Sicher, vermutlich kann ich das verstehen.“
Mein Dad hatte mich vor der Unterwelt zu beschützen versucht, seit er aus Irland zurückgekommen war. Und ich war jedem Schritt, den er unternommen hatte, ausgewichen, denn meine Sicherheit – nein, mein Leben – schien mir nicht wert, beschützt zu werden, wenn ich nicht bereit war, es für etwas Wichtiges zu riskieren. Wenn Em genauso dachte, hatte ich sicherlich nicht das Recht, ihr im Weg zu stehen.
„Aber auf gar keinen Fall werde ich dich allein mit ihm lassen.“ Sie hatte seinem übersprudelnden Charme nichts entgegenzusetzen, und all ihre guten Vorsätze würden sich in Luft auflösen, sobald er seine Lust auf sie losließ, ganz gleich, wie sehr sie sich auch sträubte. Könnte sogar sein, dass er damit schon angefangen hatte. Beharrte sie deshalb so darauf, den Lockvogel zu spielen? Um in seiner Nähe zu bleiben? „Und deshalb habe ich keine Zeit, mich hinzulegen.“
„Danke.“ Em wirkte erleichtert, trotz der Courage, die sie an den Tag legte. „Ihr drei seid nicht die Einzigen, die stinksauer darüber sind, was er Danica angetan hat. Ich mag nicht in der Lage sein, die Unterwelt zu betreten oder Leute zu manipulieren, damit sie tun, was ich von ihnen will, aber dreiste Hände abwehren, das kann ich. Allerdings habe ich noch eine Frage, bevor ich hier fest zusage und meine erste supergeheime Mission als Spion antrete.“ Ihre Augen funkelten vergnügt. „Haben wir eigentlich je herausgefunden, ob das mit dem gespaltenen Penis stimmt?“
Die meiste Zeit über starrte ich in der letzten Unterrichtsstunde auf die Uhr an der Wand. Die Zeiger bewegten sich höchstens im Schneckentempo. Als die Stunde dann endlich zu Ende war, hatte ich so viel Französisch gehört, wie ich gerade aushalten konnte. Sobald die Schulglocke ertönte, schoss Emma so schnell aus ihrem Stuhl hoch, dass sie schon draußen auf dem Flur war, noch ehe das Schellen verklungen war. Auf jeden Fall schien sie es kaum abwarten zu können, zu Mr Becks Zimmer zu kommen. Ihr überschäumender Enthusiasmus machte mich wirklich mehr als nervös. Ich wollte ihr folgen, doch Mrs Brown stellte sich mir in den Weg, bevor ich den Raum verlassen konnte.
„Miss Cavanaugh, das ist heute der zweite Tag in Folge, dass Sie ohne Hausaufgaben erschienen sind.“
„Ich weiß. Tut mir leid.“ Ich sah auf den Flur hinaus und konnte nur noch Emmas wippenden blonden Pferdeschwanz erkennen. „Könnten wir bitte später darüber sprechen? Ich habe es wirklich ziemlich eilig …“
„Wir reden jetzt darüber.“ Sie hielt die Tür fest, als wollte sie sie schließen. Damit wäre ich eingesperrt. „Sie wissen, dass ich es nicht toleriere, wenn Aufgaben nicht erledigt werden. Soweit ich mich entsinne, haben Sie bis auf diese Woche keine Hausaufgaben ausgelassen, im ganzen Jahr nicht. Was ist los, Kaylee?“
„Nichts, alles in Ordnung. Ehrlich. Es kommt auch nicht wieder vor. Aber jetzt muss ich wirklich gehen. Ich bin schon spät dran …“ Mrs Brown rief mir nach, aber da war ich schon zur Tür hinaus. Ich zog den Gurt meiner Tasche auf die Schulter und neigte den Kopf, um gegen den Strom der Schüler Richtung Parkplatz anzukommen. Jedem bekannten Gesicht wich ich aus, aus Angst vor einer weiteren Verzögerung. Als der Flur sich endlich leerte, rannte ich um die Ecke
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