Beruehrt
Schnell huschte Rachel an dem Apartment vorbei und hoffte inständig, dass Caleb der Schnarcher war, denn dann konnte er wenigstens nicht im nächsten Augenblick die Tür aufreißen. Das Herz schlug ihr bis zum Hals. Doch Rachel gelangte unbehelligt nach unten. Im Erdgeschoss war ebenfalls kein Mucks zu vernehmen.
Draußen hatte es merklich abgekühlt, die drückende Schwüle des Vortages war einer angenehmen Wärme und einer frischen Brise vom Meer gewichen. Wunderbar, so sollte Cornwall bleiben. Rachels Laune verbesserte sich schlagartig. Sie suchte sich ein ruhiges Fleckchen im Park, wo sie nicht gleich aus allen Fenstern des Schlosses neugierig beäugt werden konnte. Auch wenn sie wusste, wie albern diese Angst war, weil gerade Kunst- und Designstudenten – noch dazu stark verkaterte – sicher Besseres zu tun hatten, als sie beim Zeichnen zu beobachten.
Und doch gab es da jemanden, der genau das tat. Dieses Gefühl stellte sich bei Rachel allerdings erst zwischen der dritten oder vierten Skizze ein, die sie von einer hummelumschwärmten, ungewöhnlich dunklen Rosenknospe anfertigte. Es begann mit einem Kribbeln im Rücken, zwischen den Schulterblättern, so als ob … Rachel lauschte, bemerkte nichts Ungewöhnliches und skribbelte nach einer kleinen Pause weiter. Da hörte sie einen Zweig knacken. Ihre Nackenhärchen stellten sich auf und sie legte Block und Stift neben sich ins Gras.
»Hallo?«, fragte sie und erschrak, als gleich darauf echoähnlich eine männliche Stimme mit »Hallo!« antwortete.
Es klickte leise, und gerade als Rachel sich in die Richtung drehte, aus der die Stimme gekommen war, machte jemand ein Foto von ihr. Dieser Jemand hockte keine drei Meter vor ihr im Gras, seine ziemlich teuer wirkende Digitalkamera immer noch im Anschlag.
»Ich werde schon gern vorher gefragt, wenn man mich beobachtet und fotografiert«, erklärte sie kühl. »Machst du das immer so, dich heimlich anschleichen?«
Der Typ drückte sogar noch einmal ab, ließ erst dann die Kamera sinken und stand auf. Er war groß und schlank, trug eine enge Jeans und ein petrolfarbenes Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln, was ziemlich gut aussah bei seiner gebräunten Haut und den blonden Haaren. Er hatte ein kantiges Gesicht und ein markantes, irgendwie provozierendes Lächeln. Noch so ein Reklamekerl, dachte Rachel in der Sekunde, als sie ihn musterte.
»Tut mir leid«, sagte er reumütig. »Ich wollte dich nicht stören.« Die Lachfältchen um seine Augen standen allerdings in krassem Kontrast zu dieser Behauptung.
Rachel holte Luft, um etwas zu entgegnen, aber er war schneller. »Hübsch«, sagte er, wieder mit diesem augenzwinkernden, unverschämten Unterton. Rachel entging nicht, wie er sie gleichzeitig abscannte, bevor er dann – hübsch doppeldeutig – auf ihre Zeichnungen zeigte.
»Und das siehst du auf die Entfernung?«, fragte Rachel kratzbürstig.
»Aus der Nähe könnte ich das natürlich noch besser beurteilen, aber ich glaube, da würde ich womöglich Gefahr laufen, mit einem Bleistift erstochen zu werden. Das möchte ich dann doch nicht riskieren, soll ziemlich schmerzhaft sein und einem womöglich die Kleidung und den Tag versauen.« Er nickte freundlich, drehte sich um und ging.
Rachel blieb verdutzt zurück und lief ihm unwillkürlich ein paar Schritte hinterher. Was war denn das für eine Masche? »He, warte mal!«, rief sie. »Das kannst du doch jetzt nicht einfach machen!?«
»Was?«, fragte er unschuldig. Als er sich umdrehte, blieb Rachel wie angewurzelt stehen. Er lächelte charmant. Anscheinend hatte er sie genau da, wo er sie haben wollte.
»Na … mit meinen Fotos abhauen«, fiel ihr gerade noch ein. »Schon mal was vom Recht am eigenen Bild gehört?«
»Oh, ja klar. Sorry«, sagte der Blonde zu ihrem Erstaunen ganz friedlich. Er drückte ein paar Tasten auf der Rückseite seiner Kamera und zeigte ihr das schwarze Display. »Gelöscht«, behauptete er. »Zufrieden?« Damit wandte er sich wieder ab und ging weiter.
Rachel schnaufte verblüfft. Sie hätte jetzt einfach zurückgehen und weiterzeichnen können. Der unverschämte Kerl räumte besiegt und entwaffnet das Feld. Aber nein … sie musste ja wieder einen draufsetzen. »Noch was«, rief sie ihm hinterher und reckte sich energisch. »Das hier ist übrigens Privatbesitz!«
Als er daraufhin erneut kehrtmachte und auf sie zuging, verspannte sich ihr ganzer Körper. Nicht zurückweichen, ermahnte sie sich und steckte betont lässig die
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