Beruehrt
Rachel die gewünschte Auskunft.
»Du hast mich mit den Kerlen allein gelassen?« Helen war zu angeschlagen, um sich ernsthaft darüber aufzuregen, aber sie bemühte sich, so zu tun, als ob.
»Hier nimm«, konterte Rachel trocken. Damit schob sie der Freundin das Olivenöl und einen Löffel zu.
»Was soll ich damit?«, fragte Helen misstrauisch.
»Urgeheimes, uraltes und urgutes Hausrezept gegen Kater«, erklärte Rachel. »Mit einem ordentlichen Schluck Olivenöl gurgeln und kräftig den Mundraum spülen. Das zieht die ganzen Gifte raus. Danach geht’s dir besser.«
»Das ist bestimmt widerlich, oder?«, fragte Helen zerknautscht und rieb sich die Schläfen. »Oh, mir platzt der Schädel.«
»Probier's aus.« Rachel verkniff sich die Standardbemerkung ihres Vaters in solchen Fällen und angelte stattdessen einen zweiten Löffel aus dem Schubfach. »Ich hab auch immer noch einen blöden Geschmack im Mund. Los, komm: auf drei!«
Also gurgelten die beiden gemeinsam ein paar Minuten und spuckten die Reste ins Waschbecken.
»Sieht aus wie Sperma!«
»Helen, du bist eklig«, schimpfte Rachel, drehte den Wasserhahn auf und spülte das zu milchigem Schleim mutierte Öl energisch den Abfluss hinunter. »Los, Kaffee jetzt.«
Nach zwei Gläsern Wasser, einer Aspirin, einem halben trockenen Toast und einer Tasse Kaffee mit Milch war Helen offenbar wieder in der Lage, ganze Sätze zu bilden. »Grayson ist also wieder da?«, erinnerte sie sich sogar an Rachels anfängliche Information.
»Ja, und er ist ziemlich rücksichtslos«, bestätigte Rachel.
»Nimm dich und dein kleines Herz bloß vor ihm in Acht«, warnte Helen düster.
»Das hab ich so ähnlich gestern schon mal gehört«, erwiderte Rachel und lehnte sich schwungvoll zurück. »Ist der Typ König Blaubart oder so was?« Ihre Stuhlbeine schrubbten über den Boden und machten ein so hässliches Geräusch, dass Helen ihr Gesicht verzog.
»Nein, ich kenne ihn nur gut rasiert … Ich hab Tim rausgeschmissen, oder?«, fragte sie etwas zusammenhanglos.
Rachel atmete tief durch. »Ja, hast du. Was ich meinte, war eigentlich nicht seine Gesichtsbehaarung, sondern, was er mit Frauen anstellt. Und wieso lenken eigentlich immer alle Leute ab, wenn ich was über ihn erfahren will?«
»Über Tim? Hast du mich was gefragt?«
»Nein.« Rachel stand auf und lief ungeduldig ein paar Schritte durch die Wohnung. »Über Grayson Wolf!«
»Was?« Helen stierte sie mit glasigen Augen an.
»Wieso warnen mich alle Leute vor ihm?«, versuchte Rachel es noch deutlicher.
»Weil er nicht wichtig ist. Wieso interessiert er dich überhaupt? Du sagst doch selber, dass er ein Arsch ist. Dabei kennst du ihn erst ein paar Minuten. Gute Intuition!«
Rachel verschwieg, dass bei diesem Kennenlernen sogar noch eine geschlossene Tür zwischen ihnen gestanden hatte. Das hätte das Gespräch nur unnötig verkompliziert.
»Weil er über mir wohnt«, behauptete sie. »Und ich hab nur gesagt, dass er rücksichtslos ist. Er macht Krach am frühen Morgen.«
»Na also!«
»Was?«
»Arsch«, erklärte Helen bündig.
»Ach so.« Rachel setzte sich wieder. »Noch 'nen Kaffee?«
Nachdem Helen ohne fremde Hilfe zurück in ihr Bett geschlurft war und Rachel endlich ausgiebig geduscht, sich die Füße geschrubbt und die Blasen mit bunten Pflastern medizinisch versorgt hatte, tigerte sie unruhig durch die Wohnung. Sie grübelte in einer Endlosschleife über ihren erotischen Traum, die peinlich erregende Beobachtung des vorangegangenen Abends und Calebs zärtlichen Kuss nach.
Wie sollte sie sich ihm gegenüber bloß verhalten? Vielleicht hatte sie ja Glück und seine Erinnerung an den Abend war ähnlich lückenhaft wie die von Helen.
Rachel seufzte und beschloss, sich mit Malsachen bewaffnet in den Park zu wagen. Ein paar Bleistiftstudien der letzten Rhododendronblüten würden sie sicher auf andere Gedanken bringen. Aufzuräumen gab es ja offenbar nichts mehr. Die Männer in Orange hatten sich irgendwann zwischen Helenverabschieden und Füßewaschen erheblich leiser zurückgezogen, als sie gekommen waren. In der Wohnung über ihr war auch alles still. Jetzt schlief der Kotzbrocken wohl.
Rachel packte also ihren Skizzenblock, das Kästchen mit Stiften und dem Radiergummi und eine Flasche Wasser in ihre Tasche, klemmte sich den praktischen kleinen Klapphocker unter den Arm und zuckelte los.
Im Gang auf ihrer Etage war so weit alles ruhig, nur in der Jungs-WG hörte sie jemanden schnarchen.
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