Beruehrt
steuerte ihre Tasche an.
Ihr Rachen fühlte sich an wie Sandpapier, und das lag nicht nur an dem ständigen Kreischen, dem Sport und dem warmen Wasser … Sie war schon lange nicht mehr so ausgelassen gewesen, so schwerelos. Doch kaum war sie aus dem Wasser, war all das Gewicht, das auf ihrer Seele lag, sofort wieder da. Ihr Herz suchte Grayson, doch der war im wahrsten Sinne des Wortes abgetaucht und durchquerte auf dem Beckenboden die Länge der Bahn.
»Jetzt sind Ron und Helen aber wirklich schon ganz schön lange weg«, flüsterte Kathy ihr unauffällig zu und nahm ebenfalls einen Schluck aus der Wasserflasche. Rachel nickte und sah sich um. Bruce war mit Melissa in ein Gespräch vertieft. Caleb chillte in der Pose einer römischen Götterstatue am Beckenrand und hatte die Augen geschlossen. Josh trocknete sich gerade ab und Grayson kraulte inzwischen an der Wasseroberfläche hin und her. »Der wird auch nie müde«, meinte Kathy. »Schon echt ein schräger Typ.«
»Rastloser Wolf eben«, kommentierte Rachel. »Ich geh mal gucken, okay?«
Kathy nickte.
Rachel hoffte inständig, nicht in irgendeine peinliche Situation hineinzuplatzen, und schwor sich, beim leisesten Verdacht sofort den Rückzug anzutreten. Auf halbem Weg kam ihr Ron entgegengerauscht. Er knöpfte gerade wütend sein Hemd zu und schleuderte ihr Graysons Badehose vor die Füße, als er sie sah.
»Jetzt brauchen wir auch nicht mehr reden«, zischte er. »Das war’s für mich. Endgültig. Ich hab versucht, mich anzupassen. Aber zu viel ist einfach zu viel! Ihr seid mir echt zu sexbesessen! Wahre Liebe ist für mich was anderes. Das ist bei euch Europäern wohl unmodern. Und ihr behauptet immer, wir Amerikaner wären oberflächlich!«
Rachel wusste nicht, was sie damit anfangen, geschweige denn darauf erwidern sollte. »Hey, warte doch mal!«, rief sie Ron völlig perplex hinterher, doch der machte nur eine abfällige Geste, drehte sich nicht einmal mehr um und verschwand ohne ein weiteres Wort durch die Feuerschutztür.
»Halloooo?«, sagte Rachel fassungslos. Sie starrte die mit einem mächtigen Rums zugefallene Tür an und tippte sich an die Stirn. »Selber bekloppt«, murmelte sie und drehte sich um. »Helen?«, rief sie in den Gang hinein. Sie spähte um die Ecke in den Saunabereich, doch dort war alles still, die Toilette war ebenfalls leer und dunkel. Dann vernahm sie ein leises Plätschern aus den Duschräumen. Dort angekommen bemerkte sie, dass in der hinteren Dusche noch immer Wasser lief. Als sie darauf zusteuerte, nahm Rachel noch etwas anderes, Merkwürdiges wahr, das sie nicht recht zuordnen konnte, ein dumpfes Klopfen, dazu unterdrücktes Schluchzen. »Helen?«, fragte Rachel noch einmal. »Geht’s dir gut?« Es kam keine Antwort. Lediglich das dumpfe Geräusch setzte nach einer kurzen Pause wieder ein.
»Helen, bist du in Ord…?« Weiter kam Rachel nicht. Sie blickte auf den Fußboden. In kleinen Rinnsalen schlängelte sich blassrot gefärbtes Duschwasser Richtung Abfluss und suchte sich seinen Weg ins Dunkel. Doch bald wurde der Rot-Ton immer intensiver, bis hin zu einem satten Kirschrot … einem Blutrot.
»HELEN!«, kreischte Rachel schon, während sie den Vorhang beiseiteriss.
Ihre Freundin kauerte zitternd und gekrümmt in einer Ecke, wiegte sich vor und zurück und schlug ihre Stirn immer wieder gegen die Kacheln. Jedes Mal mit diesem schrecklich dumpfen Geräusch, das Rachel bis in die Eingeweide drang, und jedes Mal klatschte ein frischer, tiefroter Klecks auf die Fliesen, den das nachlaufende Wasser mitnahm. Auch unter ihr quoll Blut hervor und wurde von dem stetigen Rinnen der Dusche verwässert und weggespült. Ein nasses Handtuch lag zerknüllt auf dem Boden und Rachel sah erschrocken, dass es ebenfalls blutgetränkt war.
»HILFE!«, brüllte sie, so laut sie konnte. »Wir brauchen einen Krankenwagen!«
Sie hockte sich neben Helen, berührte sie an den Schultern und strich behutsam eine Haarsträhne beiseite, um ihr ins Gesicht schauen zu können. Helen zuckte nicht einmal, sie starrte ins Leere, war in ihrem eigenen Rhythmus gefangen und schlug weiter monoton mit der Stirn gegen die Wand.
»Helen, lass das, hör auf damit!«, drängte Rachel und versuchte, ihre Freundin wegzuziehen. Doch die war überhaupt nicht ansprechbar. »Was ist passiert, Liebes?«, fragte Rachel mit kratziger Stimme und zog und zerrte weiter an Helens Armen herum. Als das nicht half, packte sie von hinten mit beiden Händen ihren
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