Beruehrt
mit Blumen und Herzen und einer Sprechblase, in der stand: »Komm bald wieder, wir vermissen und brauchen dich. Und melde dich, die lassen uns nicht zu dir!«
»Los, alle unterschreiben«, befahl sie der Clique und drückte der breitgeschlagenen Krankenschwester den gefalteten Gruß in die Hand. »Sie geben’s Helen aber auch wirklich, oder?«, stellte sie noch einmal sicher. »Ja, werde ich«, antwortete sie mit einem verschwörerischen Blinzeln. Da erst war Rachel bereit, mit den anderen abzuziehen.
»Nicht, dass ihr mich gleich lyncht«, begann Caleb schließlich, »aber wir haben morgen einen Gig, Rachel. Wir sollten noch mal proben.«
»Wie kannst du jetzt an …«, setzte Rachel empört an, brachte den Satz dann aber nicht zu Ende. »Du hast ja recht«, sagte sie kleinlaut. »Wäre ziemlich peinlich, wenn Helen das Radio anstellt und wir unseren Auftritt in den Sand setzen. Sie wollte doch unbedingt zuhören.« Rachel schluckte. Diese Radiosache und der ganze übrige Wahnsinn schienen in einem anderen Universum stattzufinden, in einer weit entfernten Galaxie, einer ganz anderen Welt. Sie kam sich schäbig vor, weil sie wusste, dass ihr die Ablenkung mit Caleb und seiner lässigen Art guttun würde.
Grayson schwieg. Er sah nicht besonders glücklich aus, wie Rachel mit einem Seitenblick feststellte. Es war glasklar, dass ihm die ganze Sache nicht passte. Aber da konnte sie ihm jetzt auch nicht helfen … Sie war selbst nicht glücklich. Genauso wenig wie Kathy und erst recht Helen.
Verdammte Hacke!
Die Fahrt zurück verlief so still wie die Hinfahrt. Am Schloss angekommen, trotteten sie, jeder für sich, die Anhöhe vom Parkplatz hinauf. Als Caleb keine Anstalten machte, das Feld zu räumen, verschwand Grayson mit finsterem Blick hinter Kathy im Haus.
»Wir müssen noch was wegen des Auftritts besprechen«, zischte Caleb ihm nach.
Rachel wandte sich energisch an Caleb, so langsam hatte sie die Nase gestrichen voll von diesem Imponiergehabe. »Ich brauche heute echt nicht noch mehr Turbulenzen, okay? Mein Bedarf an Adrenalin ist für die nächsten Monate ausreichend gedeckt. Wir gehen jetzt proben, nicht im Keller, nicht bei dir, nicht bei mir. Hier draußen im Park. Ich brauche frische Luft. Verstanden?«
Er nickte nur, offensichtlich erschlagen von Rachels Tonfall. Sie zog ihn hinüber zur Terrasse. Zu spät ging ihr auf, dass Graysons Wohnung ja in alle vier Himmelsrichtungen Fenster hatte, sodass sich keine zwei Minuten später seine Blicke in ihren Rücken bohrten. Sie drehte sich eisern nicht um, sondern bemühte sich, mit geschlossenen Augen richtig zu singen und den Text zu behalten.
»Wir sind im Radio«, rief Caleb ihr ins Gedächtnis. »Du darfst ablesen, wenn du Angst hast, hängen zu bleiben. Das merkt kein Mensch.«
»Doch, die im Studio«, widersprach Rachel mit wachsender Nervosität. »Und dann posten sie’s bei Facebook oder wo auch immer. Das muss ich so hinkriegen!«
Sie bestand auf vier komplette Durchläufe. Als sie diese ohne einen einzigen Patzer gemeistert hatten und Rachels Rücken wider Erwarten immer noch lochfrei geblieben war, gab sie Ruhe.
»Du hast Nerven«, seufzte Caleb und sah sie bewundernd an.
»Eben nicht«, widersprach Rachel. Doch als sie sich umdrehte und hochschaute, waren sämtliche Vorhänge im dritten Stock zugezogen.
»Hat der Wolf den Bau schon wieder verlassen?«, stichelte Caleb.
»Ach, halt doch die Klappe«, brauste Rachel auf. »Ich kommentiere doch auch nicht, wenn du mit Melissa flirtest.«
»Gibt es da nicht einen kleinen Unterschied?«, fragte Caleb spitz.
»Wieso das denn?«, brauste Rachel auf.
»Ach, vergiss es«, wehrte Caleb ab.
Rachel funkelte ihn an, beruhigte sich gleich darauf aber wieder. »Bitte, lass uns nicht streiten, ja? Ich glaub, bei uns allen liegen heute die Nerven blank.«
»Einverstanden«, sagte Caleb. »Waffenstillstand – bis nach dem Auftritt. Und bis wir was Neues von Helen hören.«
Rachel zückte jede halbe Stunde ihr Handy und fragte es auf sämtlichen Kanälen nach neuen Nachrichten ab, doch alles blieb still. Kathy war sich eigentlich ganz sicher, Helens Handy mit eingepackt zu haben. Also konnte nur der Akku leer sein – unwahrscheinlich – oder Helen hatte keine Möglichkeit, an ihr Telefon zu kommen – weil sie mit ans Bett geschnallten Händen und Bauchgurt an ein vorsintflutliches Krankenhausbett gefesselt war. Oder man hatte sie mit Beruhigungsmitteln vollgestopft. Dieses Bild war noch
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