Beruehrt
Rachel, quetschten sie über sämtliche Einzelheiten aus und ignorierten die teils knurrigen Passanten, die ihnen auf dem schmalen Bürgersteig um eine Sektpfütze herum ausweichen mussten.
»Wollen wir nicht erst mal nach Hause oder irgendwo anders hin?«, lachte Rachel. Plötzlich bemerkte sie auf der anderen Straßenseite eine Bewegung, die sie stutzen ließ. Dutzende von Leuten wuselten auf dem Bürgersteig herum, aber nur einer davon warf gerade ein Päckchen in einen Papierkorb und eilte um die nächste Straßenecke.
»Grayson? … Da war Grayson … Grayson!« Rachel achtete weder auf ihre Freunde noch auf die Autos, sondern spurtete, so schnell sie konnte, auf die andere Straßenseite. Jemand hupte sie an, die anderen riefen ihr hinterher, aber sie rannte weiter, dem Schatten nach.
»Grayson?!« Endlich gelang es ihr, ihn einzuholen. Sie packte ihn am Ärmel. »Warte doch. Wo willst du hin?«
Er blieb stehen, sah ihr kurz in die Augen und pflügte sich mit beiden Händen durch die Haare.
»Ich wollte nicht … ich …« Er sammelte sich und begann noch einmal, aber Rachel verstand nach wie vor nur Bahnhof. »Ich hab dich im Radio gehört. Da dachte ich … und dann habe ich die anderen gesehen. Dich und … Caleb.«
»Verdammt, Grayson, was willst du eigentlich von mir? Du solltest wissen, was ich für dich empfinde. Du bist doch derjenige, der mich ständig abblockt und auf Abstand hält. Was soll ich denn bitte tun? Ins Kloster gehen? Garantiert nicht!«
»Rachel. Wenn er dir guttut, dann …« Im selben Moment schüttelte er heftig den Kopf. »Nein, das ist nicht in Ordnung. Jeder andere Kerl auf dieser Welt, aber bitte nicht er!« Grayson holte Luft. »Ich habe kein Recht, dir das zu sagen, ich weiß, aber …«
Rachel strahlte, obwohl sie sich kindisch dabei vorkam. »Bist du etwa eifersüchtig?« Doch die Ernüchterung folgte auf dem Fuß. Grayson atmete tief durch.
»Vielleicht. Anscheinend. Aber das darf keine Rolle spielen. Ich muss Dinge klären, ich muss weg, ich kann nicht bleiben …« Rachel sah ihn einfach nur an.
»Herrgott noch mal, mach es mir nicht so schwer«, brach es aus ihm heraus. »Das kann nichts werden mit uns, ich bin … ich darf dich da nicht mit reinziehen.«
»Und warum kommst du dann her?«, fragte sie. »Ein ums andere Mal und brichst mir das Herz, immer wieder neu, wenn ich mich gerade wieder sortiert habe?«
Grayson schnaufte schwer und schien mit sich zu ringen. Unvermittelt zog er sie an sich heran, zögerte einen Augenblick und sah ihr in die Augen. »Weil du du bist und ich dir einfach nicht widerstehen kann.« Dann küsste er sie und Rachel vergaß alles und jeden um sich herum. Es war ihr egal, dass sie mitten auf dem Gehweg standen und alle sie sahen. In seinem Kuss lag so viel Verzweiflung, Zärtlichkeit und Leidenschaft … wenn man das kybernetisch hätte nutzen können, hätte es für einen Langstreckenflug nach Sri Lanka gereicht.
Doch da war es schon wieder vorbei und Rachel landete auf dem harten Asphalt von Falmouth, Cornwall, England.
»Mach das noch mal«, sagte sie leise, als er seine Lippen schließlich sanft von ihren löste.
»Du bist schrecklich«, beschwerte er sich stattdessen leise. »Das kann nicht gut gehen, Rachel. Du hast doch gesehen, ich bringe allen nur Unglück.«
»Du meinst doch wohl nicht Helen, oder?«, fragte Rachel. »Das ist doch vollkommener Blödsinn, das hat nichts mit dir zu tun!«
Grayson schüttelte den Kopf und kickte mit der Schuhspitze eine Zigarettenkippe über die Bordsteinkante. »Ich weiß nie, ob es ein Morgen gibt, keine Beziehung, Rachel. Es hat keinen Sinn. Nicht mit mir, nicht in diesem Leben.«
»Das ist mir egal«, sagte Rachel und drängte sich in seine Arme. »Halt mich nur einen Moment.«
Verzweifelt löste er sich. »Genau das meine ich«, erklärte er und hauchte ihr einen Kuss auf die in Falten gelegte Stirn. Er atmete tief durch. Es schien ihm wirklich schwerzufallen, sich von ihr loszumachen. Dann sah er auf seine Uhr. »Ich muss gehen.«
Verwirrt und aufgewühlt sah Rachel ihm nach.
»Kommst du?«, hörte sie plötzlich Calebs Stimme hinter sich. »Wir warten.«
Rachel zuckte zusammen. »Wie lange stehst du schon da?«
»Lange genug«, behauptete er und sah sie an. Sie konnte seinen Blick nicht deuten. »Die anderen wollen feiern«, sagte er. »Falls du nichts Besseres zu tun hast?«
Rachel schüttelte abwesend den Kopf. Sie hörte seinen Zynismus heraus, hatte aber keine Lust,
Weitere Kostenlose Bücher