Beruehrt
werdenden Blumenstrauß, wenn du verstehst, was ich meine.«
Rachel faltete die Hände vor der Brust und machte augenklimpernd eine demütige Geste. »Danke für die Warnung.«
»Gutes Kind«, lobte Kathy. Alle drei lachten. »Wollen wir weiter? Wir müssen dir unbedingt noch den coolsten Klamottenladen in der Stadt zeigen!«
»Unbedingt!«, erwiderte Rachel. »Wenn dein Fuß das noch mitmacht?«
Kathy hatte ihren Knöchel auf einem freien Stuhl hochgelegt. Sie nickte energisch. »Hallo? Du stehst hier vor der Shopping Queen! Außerdem würde ich es mir nie verzeihen, wenn du für die Mittsommerparty nächste Woche nichts Unvernünftiges anzuziehen hast.«
Die Tage vergingen und mit ihnen das kühle Regenwetter. Endlich war der Sommer nicht nur kalendarisch angekommen. Rachel traf sich fast jeden Tag mit ihren neuen Freundinnen. Sie spielten Volleyball, zeichneten, hingen am Strand oder in der Stadt ab oder Rachel musste als Schneiderpuppe herhalten. Manchmal strich sie auch einfach alleine durch die Gegend und hing ihren Gedanken nach. Kathy und Josh waren offensichtlich ein Paar und schon länger zusammen. Bruce interessierte sich vorwiegend für seinen Computer und Work-outs. Die Clique hatte es sich offenbar zur Aufgabe gemacht, ihn in regelmäßigem Abstand unter seinen Hanteln hervorzuzerren, damit er nicht sozial inkompatibel wurde, wie Caleb es ausdrückte. Helen flirtete mit allen und jedem und wusste indiskrete Geschichten von fast jedem Ort auf der Welt zu erzählen. Nur aus Caleb wurde Rachel immer noch nicht richtig schlau.
Sie hatte ihn zunächst ins Schubfach Sieht-gut-aus-und-weiß-das-leider-Angeber einsortiert, aber dafür war er phasenweise einfach zu nett und wenn er wollte ausgesprochen charmant und hilfsbereit. Trotzdem hatte er etwas an sich, das Rachel nicht in Worte fassen konnte, ihn aber irgendwie interessant machte. Eine gewisse Aura, wie Rachels Schulfreundin Becky es genannt hätte. Becky … Rachel nippte an ihrem Frühstückstee und dachte schnell an etwas anderes. Wer war wohl der Mieter über ihr und wann würde sie ihn das erste Mal zu Gesicht bekommen? Aus den anderen hatte sie nicht wirklich viele Informationen über Grayson Wolf herausbekommen. Sie schienen ihn nicht sonderlich gut zu kennen oder kennen zu wollen. Rachel hatte das Gefühl, dass vor allem Caleb Grayson nicht ausstehen konnte. Bloß warum? Sonst kam er doch auch mit jedem klar. Wenn sie Helen Glauben schenkte, war Grayson Wolf der absolutely sexiest man alive. Andererseits war das jeder zweite in den hormongesteuerten Augen ihrer neuen Freundin. Rachel vermutete inzwischen also eine Mischung aus Blaubart, Freak und Snob. Auf jeden Fall sehr spannend. Der Typ befeuerte ihre Fantasie.
Aus einer Laune heraus stellte sie ihre Tasse ab, griff nach einer unbenutzten Leinwand und begann zu malen. Dunkle Farben nahmen Gestalt an, dicke Striche tobten über das Leinen. Pastose Blautöne wollten fast das zarte Grün darunter erdrücken. Darüber huschte ein verwischter Schatten im Wolfspelz mit einem langen, buschigen Schwanz, hinterließ graue Narben im zerbrechlichen Grün. Im Hintergrund entstand schemenhaft, wie im Nebel, der gehauchte Umriss einer Frau. Rachel malte, spachtelte, wischte wie in Trance. Schließlich legte sie die Pinsel weg und arbeitete mit den Fingern weiter. Licht, da fehlte Licht, wo war nur das Weiß abgeblieben? Und Gelb, sie brauchte auch Gelb. Und Orange. Sie wühlte zwischen den Tuben in ihrem Farbköfferchen nach freundlicheren, weicheren Tönen. Noch Rot, aber nicht zu viel, nur einen Hauch für die Blumen. Damit es nicht zu düster wurde. Sie arbeitete ohne Zeitgefühl. Die Sonne wärmte und blendete ihr linkes Auge. Sie drehte die Staffelei und arbeitete weiter. Eine Weile später schien ihr das Licht von rechts in die Augen. Rachel verrückte die Leinwand wieder ein Stück und fuhr fort. Irgendwann legte sie die Palette aus der Hand, stand auf und durchquerte den Raum. Unschlüssig betrachtete sie das Ergebnis aus ein paar Metern Abstand. Sie musste lachen, obwohl ihr Werk eher einen düsteren Charakter angenommen hatte. »Hallo Rotkäppchen«, flüsterte sie und wischte sich mit dem Handrücken eine Haarsträhne aus ihrer verschwitzten Stirn. Es klingelte.
Rachel war ganz froh darüber. Sie rieb ihre beschmierten Hände an einem Stück Stoff ab und ging zur Tür.
Es war der Postbote mit einem Paket von zu Hause und an ihm vorbei quetschte sich Helen in ihre Wohnung. »Zeit für
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