Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
verlassen zu haben, was für gewöhnlich nie der Fall war. Wenn Vlain einen Auftrag annahm, dann führte er ihn gewissenhaft bis zum bitteren Ende aus. Unter anderem war er gerade deswegen für dieses spezielle Problem ausgesucht worden. Sein eigenes Scheitern überraschte ihn selbst ebenso sehr, wie wohl auch seine Vorgesetzten.
Allerdings war die Sache nicht ganz so einfach. Niemandem wäre geholfen, wenn er die Aufgabe abgab. Ganz im Gegenteil! Er würde es niemals über sich bringen, Crevi bewusst einer Gefahr auszusetzen. Insofern blieb ihm nichts anderes übrig, als es selbst zutun. Dies war der vorläufige Stand der Dinge.
Die Situation ist nicht ausweglos , sagte er sich immer wieder. Ist sie nicht ! Allerdings konnte er sich nicht einmal selbst davon überzeugen. Zwangsläufig hatte es auf dieses Problem hinauslaufen müssen. Er hätte es ahnen müssen, als er Crevi das erste Mal begegnet war.
Die einzige Möglichkeit, die ihm noch blieb, war, seine Gefühle für sie zu leugnen und ihre Beziehung als Teil seiner Taktik einzuweben. In jedem Fall durfte er das Vertrauen der Bande nicht verlieren; andernfalls hätten wir es schon bald mit ernsthaften Meuchelmördern zu tun. Er musste Liwy davon überzeugen, dass sich nichts geändert hatte. Und danach?
Voller Wehmut betrachtete Vlain die junge Frau, die sich so furchtbar ahnungslos an ihn schmiegte. Die Schuldgefühle drohten ihn unter sich zu begraben und vermischt mit der unbändigen Angst, die er um sie hatte, wurden sie unerträglich. Dennoch war er ums höchste bemüht, sich nichts von alledem anmerken zu lassen.
Liebevoll fuhr er ihr durch die Haare und versuchte, sich ganz auf den Genuss, sie so nah bei sich zu wissen, zu konzentrieren.
»Woran denkst du gerade?«, fragte er Crevi.
» Ich weiß nicht.«
» Du weißt es nicht?« Er setzte sich auf.
» Kennst du das, wenn du an etwas denkst und im nächsten Moment weißt du es nicht mehr? Du weißt nur noch, dass es etwas Schönes oder etwas Trauriges war. Sonst nichts«, sagte sie ein wenig melancholisch. »Manchmal geht selbst ein Gedanke viel zu schnell vorbei.«
Etwas verwirrt versuchte er , aus ihren Worten schlau zu werden, sog dabei ihr hübsches Profil in sich auf und fühlte sich umso schmutziger. »Und…was von beidem war es?«, hakte er flüsternd nach. »War es schön oder traurig?«
» Wie sieht es mit deinen Gedanken aus?«, stellte sie die Gegenfrage. »Sind sie traurig oder fröhlich?«
Vlain überlegte eine Weile und merkte, dass sie ihn dabei nicht aus den Augen ließ. Schließlicht meinte er: »Früher waren sie stets traurig.«
» Und jetzt?«
» Jetzt nicht mehr.« Er lächelte kurz, heimlich und hoffte, dass Crevi es nicht bemerkt hatte. Es war nicht einmal eine Lüge, wenn man die Bande aus dem Spiel ließ. Schnell beschloss er die unliebsamen Gedanken an seinen Auftrag für heute zu begraben.
» Ach ja?«
» Ja.«
» Seit wann?« Sie drehte sich auf den Bauch und stützte sich mit den Ellenbogen auf der braunen Stoffdecke ab, die ihre besten Tage schon hinter sich hatte, ihnen jedoch gute Dienste erwies.
» Seit ich dich getroffen hab«, gab er unumwunden zu.
Herrlich verlegen biss Crevi sich auf die Lippe, dann beugte sie sich zu ihm vor und drückte ihm einen kurzen Kuss auf den Mund. Es fühlte sich fantastisch an und fast war er enttäuscht, dass sie gleich wieder von ihm abrückte.
Es war verrückt. Vlain wollte kein anderes Wort dafür einfallen. Es war wahnsinnig verrückt, dass er sie so sehr brauchte. Es erschien ihm unmöglich, jemals wieder einen Atemzug ohne sie zu tun. Es war ihm, als drehe sich die Erde nicht mehr um die Sonne, sondern einzig und allein um die junge Frau. Um diese unbegreiflich liebenswerte Frau, die nicht einmal zu wissen schien, wie bewundernswert sie war. Niemals, dessen war er sich ganz sicher, hatte er so für jemanden empfunden. Es war neu und fremd und brachte ihn unheimlich durcheinander.
Gleichzeitig war er ein wenig alarmiert, denn auch sein Dämon schien irgendein Interesse an Crevi zu haben. Er spürte es, er spürte die irrsinnigen Gefühle, die seine dunkle Hälfte ihr entgegen brachte und die sich undurchschaubar unter seine menschlichen mischten. Er war sich nicht einmal sicher, ob es ihn nach ihrem Blut dürstete oder nicht. Er würde auf der Hut sein. Es wäre zu gefährlich und äußerst unbedacht, voreilig zu handeln. Niemals würde er sich verzeihen, wenn er einen Fehler machte.
Und er würde keinen Fehler
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