Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
wie mir schien.
Eine Gemeinschaft waren wir schon lange nicht mehr.
Crevi schaudert. Schluckt die Tränen, die sich in ihren Augenwinkeln sammeln, hinunter und schnappt nach Luft. Sie kann nicht mehr. Ihre Knie zittern. Ihre Lungen drohen zu bersten.
Sie wird langsamer. Blickt sich um und findet sich inmitten hoher Tannen wieder, deren schneebedeckte Gipfel in der grellen Sonne funkeln. Ihr schwindelt. Alles verschwimmt hinter einem Vorhang aus Tränen.
Keuchend schleppt sie sich weiter. Nunmehr schleichend. Wimmernd. Schlingt die Arme um die Schultern.
Bis sie erschöpft zu Boden sinkt und in einer gekrümmten Haltung verharrt.
Knisternder Schnee, der sich unter der Last eines schweren Körpers beugt, lässt ihren Kopf herumschnellen. Sie ist wenig erfreut darüber, mich zu erblicken, hat jedoch schon damit gerechnet.
Crevi strafft die Schultern und lächelt verzerrt . »Wusstest du, dass das hier passieren würde?«
Ich blicke sie derart ernst an, dass es beinahe beängstigend wirkt, und schüttele den Kopf . »Denkst du, ich hätte dann tatenlos zugelassen, dass es so weit kommt?«
» Nein«, gibt sie zu. »Ich kann nur nicht glauben, dass…«
» Das hier der Wirklichkeit entspricht?«
Sie lässt die Frage ein Weilchen unbeantwortet und stemmt sich auf . »Doch, das kann ich durchaus glauben. Nur nicht, dass ich zu blind war, um die Anzeichen zu erkennen.«
Ich räuspere mich . »Die Briefe und die Perlen sind ebenfalls weg.«
Crevi nickt. Sie muss an Vlain denken . »Liwy steckt hinter alledem, habe ich recht?«
» Wahrscheinlich.«
Sie stößt einen tiefen Seufzer aus und klopft sich den Schnee von der Hose. Angestrengt denkt sie darüber nach, was als nächstes zu tun ist. »Was machen wir jetzt?«, fragt sie schließlich und mustert mich abwartend, inständig hoffend, dass ich die Antwort weiß.
Dabei scheine ich genauso unschlüssig wie sie.
Ehe ich ihr antworte, versteife ich mich. Werde wachsamer, aufmerksamer. Atme tief ein, lausche auf etwas, das außerhalb ihrer Wahrnehmung liegt.
Dann bin ich mit einem Satz bei ihr. Dränge sie mit dem Rücken an den Stamm einer Tanne, so dass Crevi scharf die Luft einzieht; schirme sie von vorne ab, ohne ihr auch nur die Chance einer Entgegnung zu lassen.
» Was ist los?«, flüstert sie unruhig. Doch anstelle einer Antwort, suche ich noch zielstrebiger die Umgebung ab. Schnüffele nach einer etwaigen Witterung.
Erneut will sie nachhaken, da dringt ein Rascheln an ihre Ohren. Irgendwo über unseren Köpfen. In banger Erwartung hebt Crevi den Blick…und schreit auf.
Überall in den Baumwipfeln hocken dunkle Schatten. Starren lauernden Raubvögeln gleich auf uns hinab.
Wie kann das sein?
Grelle Panik flammt in ihren Gedanken auf und macht sie blind gegenüber allem anderen.
Sie hört, wie ich etwas Unverständliches vor mich hinmurmele . »Dämonen«, ist alles, was sie aufschnappt, ehe ich sie am Handgelenk packe und zu mir herumreiße.
Kaum ist dies geschehen, lösen sich die ersten Gestalten aus dem Rudel.
Ihr wird schwindelig vor Furcht.
Mit angehaltenem Atem verfolgt sie wie versteinert, wie einige von ihnen nur wenige Meter von uns entfernt auf dem Boden landen, eleganten Akrobaten gleich ihren Sturz abfedern und dabei eine Wolke aus Pulverschnee aufwirbeln, der ihre schattenumspielten Körper vor unseren angstvollen Blicken verbirgt.
Mein Druck um ihre Hand wird stärker. Mein Blick zuckt zwischen den Angreifern hin und her, die sich gemächlichen Schrittes in einem Halbkreis um uns herum postieren. »Tu doch etwas«, raunt Crevi und wünscht sich innig, mit dem Baum in ihrem Rücken verschmelzen zu können.
Eine der Kreaturen löst sich aus den Reihen ihrer Gefährten und tritt einen Schritt an uns heran.
Sofort nehme ich eine Angriffhaltung ein und fletsche die Zähne. Ein haarsträubendes Fauchen entweicht meiner Kehle, das Crevi eine Gänsehaut über den Rücken jagt. Die Stille um uns herum füllt sich mit tierischen Lauten, gefährlichem Knurren, zischenden, krächzenden und grunzenden Lauten, die nichts mehr mit denen von Menschen gemein haben.
» Du musst dich gut festhalten«, weise ich Crevi an.
Bevor Crevi nur daran denken kann, mich zu fragen, was ich damit meine, findet sie sich auf meinem Rücken wieder. Die Arme um meinen Hals und die Beine um meinen Rücken geschlungen, während die Welt um sie herum in einer Einheit aus Weißtönen explodiert.
Ein Ruck geht durch meinen Körper und wir fliegen.
Zumindest glaubt
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