Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
würde sie verstehen.
» Ich hätte meinen Job verlieren können! Um ein Haar hättest du meine Zukunft zerstört«, stellte er fest und die Nüchternheit, mit der er das sagte, war um einiges beängstigender, als wenn er gebrüllt hätte.
» Bitte. Ich…«
» Bitte? Ich sollte dich rauswerfen!« Jetzt wurde er doch etwas lauter.
» Es ist doch nichts passiert.«
» Abgesehen von deiner Auseinandersetzung mit dem Dämon. Und, dass jetzt jeder weiß, dass ich eine fremde Frau bei mir beherberge.«
» Mein Gott, sag doch, dass ich deine Freundin bin. Oder deine Schwester, Cousine. Was dir am besten passt«, zischte Yve.
Sie senkte den Kopf und ließ die Hände in die Taschen ihres Kleides gleiten.
Dabei ertasteten ihre Finger einen kühlen Gegenstand. »Die Dose.« Sie zog das Silberdöschen aus den Stoffbahnen hervor.
» Was ist das? Darf ich mal sehen?«, fragte Reird.
Sie reichte ihm die Dose, ließ sie augenblicklich fallen, als seine Hand damit in Berührung kam. Licht brandete auf und ließ sie die Augen zusammenkneifen.
Mit einem Satz brachte Reird sich außer Reichweite der Explosion.
Es dauerte mehrere Sekunden, bis Yve wieder etwas sehen konnte. Ihr Freund lehnte mit schweißnasser Stirn und am ganzen Körper zitternd an der Rückseite des Sofas und rührte sich nicht. »W-Was ist das für ein Teufelswerk?«
» Keine Ahnung.« Sie musste sich räuspern, bückte sich und hob die Dose wieder auf. »Bei mir reagiert der Zauber nicht.«
» Der Zauber…«, keuchte Reird. »Gütiger Gott, das ist Magie! Schaff das hier raus, Yve. Mit so was will ich nichts zutun haben!«
» Beruhig dich erst mal.«
» Beruhigen? Das ist…« Er schien kein Wort dafür zu finden und begann, ziellos auf und ab zu laufen. »Das Ding bleibt mir nicht hier drinnen!«
» Das ist nur eine Dose«, sprach Yve beschwichtigend auf ihn ein. »Du brauchst dir keine Sorgen zu machen…solange du ihr nicht zunahe kommst. Ich weiß auch nicht, was das zu bedeuten hat. Aber in Panik zu verfallen, wird uns nicht weiterbringen.«
Sie versuchte , den Deckel des Silberdöschens zu öffnen. Beim zweiten Versuch gelang es ihr.
Ein vertrauter Geruch strömte ihr entgegen. Er erinnerte sie an Zuhause. An ihren Onkel und an ihre Kindheit. In der Dose lagen zwei Zettel. Ein großer und ein kleiner.
Sie nahm den kleinen heraus und suchte nach einer Aufschrift. In einer Ecke war in krakeligen Buchstaben etwas geschrieben. Sie erkannte ihren Namen. Mehr nicht. »Ich kann es nicht lesen.« Sie hob den Kopf. Reird sah nicht so aus, als würde er sich noch einmal an die Dose heranwagen. »Willst du mir vielleicht helfen?« Zögerlich trat er einen Schritt an sie heran.
» Von hier aus. Und nicht näher.«
Sie verkniff sich jeglichen Kommentar. Stattdessen drehte sie schmunzelnd den Zettel in seine Richtung.
»An Yvena«, las er.
Geschwind faltete sie die Nachricht auseinander. Zeilen, mit denen sie nicht das Geringste anfangen konnte, kamen zum Vorschein. Weshalb machte jemand sich die Mühe, an sie zu schreiben, wenn er doch wissen musste, dass sie nicht lesen konnte?
Stirnrunzelnd zeigte sie Reird den Brief. Nun musste er doch etwas näher kommen.
Seine Aug en huschten über die Botschaft.
Liebe Yvena,
mit diesem Schreiben bist Du zur neuen Bewahrerin des Briefes ernannt.
Ursprünglich dazu berufen war Edd, derjenige, von dem ich annehme, dass er Dir diese Nachricht überreicht hat. Ich weiß nicht, inwieweit man Dir vertrauen kann, aber ich hoffe, dass Du diese Aufgabe gewissenhaft übernehmen wirst. Zu viel hängt davon ab, als dass all meine Arbeit durch eine Närrin zerstört wird. Deswegen warne ich Dich, ich bitte Dich, tu was Dir aufgetragen worden ist.
Ich übertrage Dir die Aufgabe, das zweite Schreiben an meine Tochter weiterzuleiten – und sie an Deines Onkels statt zu begleiten. Edd hätte diese Rolle voller Sorgfalt übernommen, doch irgendetwas muss ihn davon abgehalten haben, deswegen bist Du jetzt die Verantwortliche.
Deine Hilfe wird dringend benötigt, merke Dir das!
Ich weiß nicht, wo Du meine Tochter finden wirst. Vielleicht kommt sie zu Dir.
Die Zukunft ist ungewiss. Aber ich versichere Dir, Du wirst sie erkennen. Dafür ist gesorgt.
Ich hoffe, dass ich mich auf Dich verlassen kann.
Es grüßt Dich, Joseph Sullivan
PS. Komm nicht auf die Idee, den zweiten Brief ebenfalls zu öffnen! Der Inhalt ist nicht für Dich bestimmt.
PPS. Der Schöpfer möge Dir gnädig sein, dass Du ein ehrenhafter
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