Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)

Titel: Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marnie Schaefers
Vom Netzwerk:
fester an sich.
    Quälend langsam kehrte Vlain in die Gegenwart zurück. Er hatte sie geliebt, wie ein Bruder seine Schwester nur lieben konnte. Immer waren sie füreinander da gewesen. Immer.
    Bis zum Tag ihrer Ermordung.
    Er zerstreute die trübseligen Gedanken und konzentrierte sich umso stärker auf den ihnen bevorstehenden Weg. Sie waren den Berg, den sie am Tag vorher hinaufgestiegen waren, soeben auf der anderen Seite wieder hinab gestiegen und erreichten nun eine mit Nadelbäumen bewachsene Ebene, durch die sich ein grauer Fluss schlängelte.
    »Hey.« Crevi tauchte an seiner Seite auf und deutete neugierig zu dem dahinplätschernden Rinnsal. »Was ist das für ein Fluss?«
    »Irgendein Gebirgsfluss, Miss Sullivan, sonst nichts«, antwortete er lakonisch.
    »Ist alles in Ordnung bei dir?«
    »Sicher.« Er versuchte es mit einem wenig gelungenen Lächeln.
    »Du siehst aus, als hättest du tagelang nicht geschlafen. Was ist los?«
    Vlain wunderte sich über ihre Hartnäckigkeit. »Schlecht geschlafen.« Er gab ihr ein Schulternzucken.
    »Schlecht geschlafen oder schlecht geträumt?«, schien sie seine Gedanken zu erraten.
    »Beides.«
    »Du willst nicht darüber reden?«
    Schulternzucken.
    Crevi zog ein Gesicht. »Wenn du das Bedürfnis verspüren solltest, dich jemandem mitteilen zu wollen, ich stehe zur Verfügung.« Damit ging sie an ihm vorbei und begutachtete die Umgebung, die das erste Mal seit sie die Felsengebiete betreten hatten, ein wenig Leben versprühte. »Woher gehen wir?«
    »Immer dem Fluss nach.«
    Ohne ihn noch länger zu beachten, schritt sie vorweg, die alte Ledertasche, die sie irgendwo gekauft haben musste, an ihrer Seite baumelnd. Von Anfang an, hatte sie diesen Gegenstand mit Sicherheit nicht besessen, da war er sich sicher.
    »Ah, ich kenne diesen Blick«, sagte eine zweite Frauenstimme hinter ihm. Yve überholte Vlain leicht und ging rückwärts vor ihm her, so dass sie ihn genauestens unter die Lupe nehmen konnte. »Crevi hat Recht. Ich dachte, du hattest dir den Tag nach Vollmond Erholung gönnen wollen.«
    »Welchen Blick?«, überging er ihren Vorwurf und schaute noch finsterer drein. Es fiel ihm leicht. Seit wann ist das so? , fragte er sich betrübt.
    Verdammt, er sollte sich zusammenreißen! Diese Gefühlsduselei hatte ihm stets nur Ärger gebracht.
    »Zeugt meiner Meinung nach von Selbsthass«, bemerkte Yve und wartete auf seine Antwort.
    »Kann schon sein.«
    »Mir geht es manchmal ganz ähnlich.« Die Rebellin gesellte sich an seine Seite und rückte ihren Gürtel mit dem Degen zurecht.
    Da erinnerte sich Vlain daran, dass er seit ihrem Aufbruch aus Skogak wieder eine Waffe bei sich trug. Einen kleinen Revolver und ein gutes Messer hatte er bei einem Straßenhändler erstanden, nachdem sie die unterirdische Stadt hinter sich gelassen hatten. Für Crevi hatte er einen Langdolch ausgewählt, mit dem sie aber – so schien es ihm – nicht wirklich etwas anzufangen wusste. Daran mussten sie noch arbeiten.
    Vlain hatte das Töten nicht vermisst, aber eine Klinge bei sich zu wissen war stets…verlockend. 
    »Was hattest du gesagt…?«, wandte er sich wieder Yve zu. Er hatte ihr nur mit halbem Ohr zugehört.
    »Ich kenne das Gefühl«, resümierte sie und schaute ihm fest in die Augen, was Vlain tatsächlich verunsicherte. »Es ist, als wenn du manchmal schreien willst, weil du es in dir selbst nicht mehr aushältst.«
    »Treffend beschrieben«, meinte er nur.
    »Was bedrückt dich so sehr?«
    Vlain zögerte, entschied aber dann, es ihr g enauso gut sagen zu können. »Erinnerungen.«
    »Woran?«
    »Meine Schwester.« Er holte tief Luft. »Sie ist seit zweiundzwanzig Jahren tot.«
    »Und du hast Schuld daran?«
    »Wie kommst du darauf?«, wollte er mit hochgezogenen Augenbrauen wissen.
    »Diesen Blick, dieses Gefühl die Schuld am Tod eines geliebten Menschen zu tragen, kenne ich selbst.« Ihr linker Mundwinkel kräuselte sich. »Du bist verwirrt?«
    »Ja«, gab er zu.
    »Bei mir war es meine Tante, die jedoch wie eine Mutter für mich war. Da ich als Kind nicht zu Gefühlen fähig war, habe ich nie etwas für sie empfunden, aber im Nachhinein…war das, was mir stets gefehlt hat, plötzlich da.«
    »Das heißt, du hast sie umgebracht?«
    »Nein, nicht direkt. Ich war gefühlskalt, aber kein Monster.« Sie wurde rot, als sie sich der ungeschickten Wortwahl bewusst wurde. Verlegen stieß sie einen Stein vor sich her, der mit einem dumpfen Geräusch in den Fluten des Flusses

Weitere Kostenlose Bücher