Beseelt
Schluchzen, halb ein Lachen war. „Du hast immer gedacht, dass ich dumm bin.“
Brighid wollte widersprechen, doch Niam verstärkte den Griff um ihre Hand und sprach weiter: „Das ist jetzt egal, du sollst nur wissen, dass ich nicht das bin, was du angenommen hast … Ich war nur einfach nicht so stark wie du. Ich hatte ihr nichts entgegenzusetzen, also habe ich sie glauben lassen, dass ich ihrer Aufmerksamkeit nicht würdig sei.“ Ihre Lippen zitterten, als sie versuchte zu lächeln. „Ich habe alle an der Nase herumgeführt. Niemand hat auf mich geachtet, vor allem Bregon nicht. Niemand dachte, dass ich diejenige sein könnte, die dich holt.“
Mit überraschender Stärke entzog Niam ihr die Hand und packte sie bei den Schultern.
„Du musst zurückkehren. Sogar die, die von Mutter am meisten korrumpiert worden sind, würden es nicht wagen, sich gegen die Macht der Hohen Schamanin der Dhianna-Herde aufzulehnen. Nimm du den Kelch. Stelle sicher, dass Mutter nicht gewinnt. Mach dem Wahnsinn ein Ende.“
Niams nächste Hustenattacke glich einem blutigen Schluchzer. Sie sackte auf der Bank zusammen. Durch das Blut hindurch, das stetig aus ihrer Nase und einem Mundwinkel rann, lächelte ihre Schwester sie an.
„Ich habe dich immer beneidet, Brighid. Du bist ihr entflohen, aber vielleicht bin ich ihr jetzt endlich auch entkommen …“
Niams Augäpfel rollten nach oben, sodass nur noch das Weiße zu sehen war. Ihr Körper zuckte so heftig, dass Brighid von ihrer Seite gedrängt wurde. Durch den Nebel der Verzweiflung schaute sie Etain an. Die Arme der inkarnierten Göttin waren weit ausgebreitet, und als sie sprach, strahlte reines silbriges Licht aus ihren Handflächen und umfing Niam.
„Niam, Schwester unserer geliebten Brighid,
im Namen der Großen Göttin
bitte ich dich, deine geschundene Hülle zu vergessen
.
Sie kann dir nicht länger dienen
.
Ich bitte dich im Namen Eponas
,
Göttin alles Freien und Wilden,
den Schmerz zu überwinden …
Ruhe im Schoß von Eponas Sommerland
.
Kind der Göttin, ich gebe dich frei!“
Etain presste ihre strahlenden Hände auf die sich heftig hebenden und senkenden Flanken der jungen Zentaurin, und sofort beruhigte Niams Körper sich.
Erleichtert keuchend stieß ihre Schwester ihren letzten Atemzug aus.
34. KAPITEL
I n der fassungslosen Stille klang Elphames Stimme ruhig und autoritär: „Lochlan, geh zu Ciara. Sag ihr, was passiert ist. Sorge dafür, dass die Erwachsenen die Kinder von der Burg fernhalten, bis ich sage, dass sie herkommen können.“
Der geflügelte Mann zögerte gerade lange genug, um Brighids Schulter zu berühren und zu murmeln: „Dein Verlust tut mir sehr leid, Jägerin.“ Dann ging er.
„Mutter“, fuhr Elphame fort, „kannst du …“
Eponas Auserwählte antwortete, bevor ihre Tochter die Frage ausgesprochen hatte: „Natürlich. Lasst sie zu mir bringen.“
Genau wie Lochlan blieb auch sie vor ihr stehen. Brighid senkte den Kopf und kniete sich neben ihre Schwester auf den Boden. Die inkarnierte Göttin hob eine Lage ihres Seidenkleides und wischte damit das Blut und die Tränen aus ihrem Gesicht. Sie beugte sich herunter und küsste sie auf beide Wangen, wie eine Mutter es bei ihrer Tochter tun würde.
„Epona kennt deinen Schmerz, Kind, und die Göttin weint mit dir.“
Etain eilte aus dem Saal, ihre klare Stimme hallte vom Haupthof wider, als sie nach ihren Dienerinnen rief. Daraufhin brachte Danann, der zentaurische Steinmeister, mithilfe mehrerer Männer Niams Leichnam in Etains Gemächer.
Als Cuchulainn und Elphame allein mit ihr waren, hockte er sich neben sie, sodass er ihr in die Augen schauen konnte. Sie hörte das Klappern der Hufe seiner Schwester auf dem Marmorboden, als sie sich zu ihnen gesellte.
„Brighid.“
Er sprach mit ruhiger Stimme wie seine Mutter. Er verstand ihren Schock und die Trauer nur zu gut.
„Brighid“, wiederholte er, und endlich richtete sie ihren Blick auf ihn. „Komm mit El und mir. Verlassen wir diesen Ort des Todes.“
„Aber das hier ist mein Zuhause“, sagte sie betäubt.
„Das wird es auch immer bleiben“, versicherte ihr Elphame. „Die MacCallan-Burg ist für alle Zeiten dein Zuhause. Cuchulainn meinte nicht, dass du die Burg verlassen sollst, sondern nur diesen Raum.“ Elphame nahm eine ihrer schlaffen Hände. „Gehen wir in dein Zimmer und überlassen die Reinigungsarbeiten Wynne und meiner Mutter.“
Brighid starrte Elphame an. Sie spürte selbst, dass ihre Augen
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