Beseelt
abgeschossenen Pfeils. Instinktiv sprang sie nach vorne.
„Liam! Runter!“
Er stand wie erstarrt, die Flügel ausgebreitet, balancierte er am Klippenrand. Er sah aus wie eine verstörte Statue. Ein leichtes Ziel. Der schwarze Pfeil durchbohrte seinen rechten Flügel.
„Nein!“, schrie Brighid, wurde aber vom Schmerzensschrei des Jungen übertönt. Er fiel in sich zusammen. Der verletzte Flügel hing schlapp über den Rand der Klippe, ebenso der Großteil von Liams Oberkörper.
Oh Göttin, er wird fallen!
Ihre Hufe trommelten auf den grauen Schiefer, dass die Funken flogen. Sie galoppierte so schnell sie konnte zwischen den Findlingen hindurch, wobei sie den Weg mehr erfühlte, als dass sie ihn sah, weil sie den Blick fest auf Liam gerichtet hatte. Inbrünstig betete sie zu Epona, dass es keine weiteren Pfeile geben möge – dass der Junge nicht zu Tode stürzen würde.
„Halt durch! Ich komme! Beweg dich nicht!“, rief sie ihm zu.
Der Schrei des Falken erklang von der gegenüberliegenden Wand des Passes. Brighid riss ihren Blick von Liam los und sah den Vogel wie einen goldenen Pfeil auf einen dunkel gekleideten Krieger zuschießen. Der Mann ließ seinen Bogen fallen und bedeckte seinen Kopf mit beiden Armen, um ihn gegen die mächtigen Krallen zu schützen.
„Er ist doch nur ein Kind, du Dummkopf!“, rief Brighid ihm zu. Sie sah, dass der Krieger zu ihr herumwirbelte und bei ihrem Anblick überrascht zusammenzuckte. Doch sie hatte keine Zeit für ihn – sie musste darauf vertrauen, dass der Falke ihn davon abhielt, einen weiteren Pfeil abzuschießen. Liam brauchte sie.
Sie erreichte die Stelle unterhalb des Jungen.
„Alles wird gut“, sagte sie, während sie panisch die Felsen nach einem schmalen Ziegenpfad absuchte. Liams Schluchzer hallten durch die Schlucht.
Da!
Eine halbe Pferdelänge die Wand hinauf war ein grob ausgetretener Weg. Sie unterdrückte einen Fluch. Das Ding war kaum zwei Handlängen breit. Brighid folgte dem Weg mit den Augen. Er wurde weiter – vielleicht um eine zusätzliche Handlänge. Sie würde niemals dort hinaufkommen. Trotz all ihrer Kraft und Wendigkeit war es physisch einfach unmöglich. Sie brauchte einen Menschen, der ihr half.
Brighid schaute zu dem Jungen, und ihr drehte sich der Magen um. Er hatte es geschafft, sich vom Rand zurückzuziehen, aber sein verletzter Flügel hing immer noch schlaff an der Felswand herunter und hinterließ blutige Schlieren auf dem grauen Stein.
Ruf den Krieger
. Die Stimme in ihrem Kopf war wieder da.
Benutze eure Verbindung, und rufe ihn
.
Brighid musste nicht aufschauen. Sie hörte die wütenden Schmerzenslaute des Bogenschützen und die räuberischen Schreie des Falken. Sie wusste, die Stimme kam vom Vogel – ihrem Seelengefährten, ihrem tierischen Verbündeten.
„Brighid!“ Es klang mehr wie ein Schluchzer als wie ihr Name.
„Ich bin hier, Liam.“ Brighid legte die Hände an die Felswand und schaute zu dem verwundeten Jungen hinauf. „Alles wird gut. Sei noch ein kleines Weilchen länger tapfer. Du kannst doch tapfer sein, oder?“
Liam nickte, hörte aber stöhnend sofort wieder auf. „Es tut weh.“ Er biss sich auf die Unterlippe, um nicht zu weinen.
„Ich weiß, mein kleiner Tapferer. Ich hole Hilfe.“
„Lass mich nicht allein!“
„Nein, das werde ich nicht“, versicherte sie ihm. „Das muss ich auch gar nicht.“
Liams Blick bohrte sich in ihren. „Magie?“
„Magie“, sagte sie. Oh Göttin, sie hoffte es zumindest. Sie schloss die Augen und tat das Einzige, was sie tun konnte – sie folgte ihrem Bauchgefühl. Er war in ihren Träumen zu ihr gekommen … Träume waren nur ein anderer Teil des Bewusstseins … ständig da, nur etwas flüchtiger als der Wachzustand …
Sie dachte an ihren Freund, den glücklichen Krieger, der immer zu einem Lachen bereit war und die Fähigkeit hatte, Menschen anzuziehen wie Wildblumen die Bienen.
Verdammt, Cuchulainn! Ich brauche deine Hilfe! Komm zu mir!
War es ihre Einbildung, oder hörte sie Cuchulainns Lachen?
Ciara lief neben seinem Wallach her. Ihre ausgebreiteten Flügel erlaubten ihr einen Gleitschritt, der sie mühelos mit dem Pferd mithalten ließ. „Liam ist nicht bei den Tieren, und keiner der Erwachsenen hat ihn seit der letzten Pause gesehen“, sagte sie. „Er ist wie vom Erdboden verschwunden.“
Cuchulainn stöhnte auf und schaute angestrengt den Weg entlang, der sich vor ihnen erstreckte. „Ich habe eine Ahnung, wo der Junge vielleicht
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