Beseelt
zu warten, und die Todesstrafe vollstreckte?
Dafür würde er nicht nur seinen Rang als Krieger verlieren, sondern auch aus dem MacCallan-Clan ausgestoßen werden.
Sie suchte nach Ciara und fand sie nicht weit von ihrem Zelt entfernt in eine angeregte Unterhaltung mit zwei Kriegerinnen vertieft. Das Gesicht zu einer grimmigen Miene verzogen, bahnte sie sich einen Weg zu ihr. Sie wartete nicht auf eine Gesprächspause, sondern entschuldigte sich hastig und zog die Schamanin zur Seite. „Cuchulainn?“
„Ich hatte mich schon gefragt, wann du seine Abwesenheit bemerken würdest.“
„Wo ist er?“ Brighid bemühte sich, leise zu sprechen, weil sie wusste, dass es keinen Sinn hatte, eine Szene heraufzubeschwören, doch am liebsten hätte sie Ciara gepackt und sie kräftig geschüttelt.
„Ich habe gehört, wie er Fagan nach den Gräbern der Burg fragte. Ich nehme an, dort ist er immer noch zu finden.“
„Du nimmst an? Du meinst, du weißt es nicht?“
„Sieh selber nach.“ Ciara nickte in Richtung eines breiten Ganges, der vom Innenhof abging. „Kurz bevor du von der Jagd zurückgekommen bist, hat Fagan ihn dorthin geschickt.“
Brighid wollte ihm nachgehen, doch Ciara hielt sie zurück und sagte: „Er wird Fallon nicht töten. Er ist mit seinen Gedanken ganz woanders.“
„Oh, jetzt kannst du schon seine Gedanken lesen.“
„Nein. Ich kann weder seine noch deine Gedanken lesen. Aber ich weiß, dass Cuchulainns Ehrgefühl ihn davor bewahrt, Fallon etwas anzutun. Das solltest du eigentlich auch wissen.“
Finster dreinblickend löste Brighid sich von ihr und eilte den mit Fackeln beleuchteten Gang hinunter. Die verdammte Schamanin hatte recht. Jetzt, wo sie darüber nachdachte, wusste sie, dass Cuchulainn sich oder den Clan niemals entehren würde, indem er den Richterspruch seiner Stammesführerin ignorierte. Trotzdem, er sollte mit seinen bedrückenden Gefühlen nicht allein gelassen werden. Nicht nach dem Vorfall mit Fallon. Er würde sich nur wieder in sein Schneckenhaus zurückziehen, das musste Ciara klar sein!
Der Weg öffnete sich zu einem Platz, der aussah wie ein Kräutergarten. Eine Frau kniete zwischen ersten Minzsprösslingen und bedachte sie mit einem neugierigen Blick.
„Ich suche nach dem Friedhof“, sagte Brighid.
„Folgt der Mauer, Jägerin. Wenn der Weg sich teilt, nehmt die östliche Abzweigung. Die Gräber sind leicht zu finden, sie liegen auf der Anhöhe, die die Burg überblickt.“
Brighid nickte ihr dankend zu. Abgesehen von den allgegenwärtigen Wachen auf den Wehrgängen lag dieser Teil der Burganlage verlassen da. Die Fackeln der Krieger, die oben ihre Runden drehten, warfen ihr blasses, flackerndes Licht zu ihr herunter. Als die Mauer einen Rechtsknick machte, spürte Brighid, dass der Boden unter ihr anstieg, bis sie in einer abgerundeten Mauerecke ihren Höhepunkt fand. Entlang der Mauer gab es mehrere leichte Erhöhungen, aber keine Grabsteine oder gemauerte Gräber. Die Krieger der Wachtburg legten ihre Toten stattdessen in Erdhöhlen zur Ruhe.
Neugierig wurde Brighid langsamer und näherte sich respektvoll dem ersten kleinen Hügel. In seine Seite war ein ovaler Eingang eingelassen, und der graue Stein war mit wunderschönen Mustern aus Knoten und komplizierten Formen verziert.
„Fagan sagt, dass sie im Sommer mit blauen Wildblumen bedeckt sind.“
Cuchulainns tiefe Stimme erschreckte sie. „Hättest du mich nicht wenigstens vorwarnen können? Was ist das nur mit Ciara und dir? Ihr mögt es, mich zu Tode zu erschrecken, oder?“
„Tut mir leid“, sagte er grob. „Ich dachte, du wüsstest, dass ich hier bin.“
„Ich wusste, dass du hier bist, aber nicht, dass du genau
hier
bist.“ Sie zeigte auf die Stelle, wo er aus dem dunklen Schatten neben einer größeren Erderhebung hervorgetreten war. „Und warum bist du überhaupt hier?“
„Wegen ihnen.“
Er trat beiseite. Die Tür des Grabes war mit einem Zeichen verziert, das Brighid sofort als das der Heiler erkannte – eine mit vielen Knoten verflochtene Eiche. Ihre Äste reichten weit nach oben. Die Wurzeln gruben sich tief in die Erde. Und doch war alles miteinander verwoben, ein Symbol für die Verbundenheit aller Dinge: Erde, Himmel, Leben, Tod. Plötzlich wusste sie, was Cuchulainn hierhergezogen hatte.
„Brennas Familie“, sagte sie. „Ich hatte vergessen, dass sie auf der Wachtburg gelebt hatte. Zu meiner großen Schande muss ich gestehen, ich hatte sogar vergessen, dass ihre Eltern
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