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Beseelt

Beseelt

Titel: Beseelt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P Cast
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größer als die anderen – sie hatte vermutlich erst kürzlich ein Kitz geworfen. Etwas abseits von den drei weiblichen Rehen stand ein Bock. Sein kurzes, flaumbedecktes Geweih verriet, dass er dieses Frühjahr noch kein Recht zur Fortpflanzung hatte, doch die konzentrierte Aufmerksamkeit, mit der er die Ricken beobachtete, zeigte, dass er alt genug war, um sich Hoffnungen zu machen.
    Brighid seufzte, und mit einer Bewegung, die so elegant wie tödlich war, schoss sie einen einzelnen Pfeil ab. Das Summen des Bogens veranlasste den Bock, den Kopf hochzuwerfen und den Körper anzuspannen – genau rechtzeitig, damit der Pfeil sich glatt durch seinen Hals in seine Brust bohren konnte. Der Rehbock stolperte ein paar Schritte rückwärts. Während die Ricken ins Dunkel des Waldes flohen, sackten die Beine unter ihm zusammen, er fiel auf die Seite und blieb reglos liegen.
    Brighid stieß den angehaltenen Atem aus und ging langsam zu ihm hinüber. Automatisch richtete sie flüsternd ein Dankgebet für den Fang an Epona. Ihr Gebet war erfüllt von Respekt und Anerkennung für das kurze Leben des jungen Bocks.
    „Ich rufe dich an, oh große Jägerin des Sommerhimmels
,
    Epona, meine Göttin und Inspiration
.
    Ich danke dir für das Geschenk dieses gesegneten Herzens
.
    Beschleunige seine Reise zu dir
.
    Nimm ihn auf – kümmere dich um ihn – belohne ihn
.
    Er ist mein Bruder und mein Freund
.
    Sieh wohlwollend auf die Jagd
und auf dein Volk und ihre Jägerin herab,
so wie du es schon seit ungezählten Jahren tust
.
    Lass die uralten Tierseelen dieses Landes ruhen
in dem Wissen, dass ihre Jägerin
sie verehrt,
sie würdigt
und ihnen dankt …“
    Brighid senkte den Kopf über den Körper des erlegten Bocks.
    „… so wie ich dich verehre, würdige und dir danke, meine geliebte Göttin.“
    Schweigend blieb sie einen Moment so stehen, nahm drei tiefe, reinigende Atemzüge und beugte sich hinunter, um den Pfeil herauszuziehen. Als er herausglitt, explodierte die Brust des Bocks und bespritzte sie mit Blut und Eingeweiden. Brighid stolperte rückwärts und griff nach dem Schwert, das sie immer an ihrer Hüfte trug.
    Dann erkannte sie, was tatsächlich passiert war. In einer Gischt aus schwarzen Federn und Blut umkreiste sie ein einzelner, ihr nur zu vertrauter Rabe.

23. KAPITEL
    „M utter!“ Sie wischte sich mit dem Handrücken das Blut aus dem Gesicht und schaute den sie umkreisenden Vogel aus zusammengekniffenen Augen an. „Ich weiß nicht, welches Spiel du spielst, aber hör sofort damit auf. Sogar
du
solltest es besser wissen und einer Jägerin nicht in die Quere kommen. Du musst mit meinem gewählten Beruf nicht einverstanden sein, aber bei der Göttin, du kannst ihn wenigstens respektieren!“
    Der schwarze Rabe kreiste tiefer, bis er auf dem toten Rehbock landete.
    „Lass mich alleine“, sagte Brighid.
    „Komm nach Hause, Tochter.“
Die Stimme ihrer Mutter erklang in ihrem Kopf.
    „Ich gehe nach Hause. Zur MacCallan-Burg. Mein Zuhause, Mutter.
Mein
Heim!“
    „Das ist nicht dein Zuhause, dummes Fohlen!“
    „Nein.“ Ihre Stimme war hart wie Stahl. „Ich bin kein Kind mehr. Ich treffe meine eigenen Entscheidungen.“
    „Deine Herde braucht dich.“
    „Meine Herde oder dein Stolz?“
    „Unverschämtheit.“
    „Stimmt“, erwiderte Brighid. Sie machte zwei Schritte und funkelte den blutbefleckten Raben an. „Ich werde mich nie wieder von dir manipulieren lassen. Ich bin eingeschworene Jägerin des MacCallan-Clans. Das ist mein gewählter Weg.“
    „Dein gewählter Weg, aber nicht dein Schicksal …“
    Die Stimme ihrer Mutter verebbte, und krächzend entfaltete der Vogel seine ebenholzschwarzen Flügel, erhob sich in die Luft und verschwand in der wartenden Dunkelheit.
    Grimmig schaute Brighid den Rehbock an. Abgesehen von der Pfeilwunde war er unversehrt. Keine explodierte Brust. Kein Blut, das den Waldboden bedeckte oder – sie berührte ihr Gesicht und spürte, dass es sauber war – sie selbst.
    „Illusionen und Manipulationen der Schamanen“, murmelte sie und biss die Zähne zusammen.
Vergiss es. Konzentriere dich auf die vor dir liegende Aufgabe
. Sie begann damit, den Bock auszuweiden und für den kurzen Weg zurück zur Wachtburg fertig zu machen. Sie versuchte, sich in der vertrauten Arbeit zu verlieren, aber es wollte ihr nicht gelingen. Die Klarheit des Waldes war zerstört worden, genau wie die friedvolle Atempause, die sie hier gefunden hatte. Um sich fühlte sie Hunderte wachsamer,

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