Besessen
jeweils eine dicke weiße Kerze.
„Nimm ihn an die Hand“, wies sie Max an. Dann nahm sie einen Bergkristall aus ihrer Tasche und hielt ihn mit der Spitze nach unten über ihrem Kopf. „Fea, Anubis, Hades, Luzifer, Kephas und alle Hüter der Unterwelt und des Lebens nach dem Tod mit euren mannigfaltigen Namen, tretet zu uns in diesen Kreis.“
Sie ging in die Knie und brachte dabei den Kristall in einem weiten Bogen nach unten, sodass er den Boden berührte. Die Kerzen flackerten und warfen unheimliche Schatten an die Wände. Ich hatte mich sicher in dem unsteten Licht getäuscht, aber ich hätte schwören können, dass sich der umrisshafte Kopf eines Schakals in einer der dunklen Ecken erhob und ein Rabe über die Decke flatterte. Mein Mund war wie ausgetrocknet. Als ich den anderen nachdrücklich versicherte, dass ich der Aufgabe gewachsen war, hatte ich mir nicht wirklich vergegenwärtigt, wie ernsthaft dieses Ritual wirklich war.
Du tust das für Nathan, erinnerte ich mich und wandte den Blick weg von den schattenhaften Formen, die über uns zu wachsen und sich zu vermehren schienen, während wir hilflos in dem Kreis standen.
„Bella …“, sagte Max, und sein raues Flüstern durchbrachdie Stille im Raum.
Doch es herrschte nicht wirklich Stille. Eine seltsam vibrierende Spannung lag in der Luft und erfüllte den Kreis mit einem lauten, tonlosen Lärmen.
Bella hob die Hand, um Max zum Schweigen zu bringen, dann bedankte sie sich mit gemurmelten Worten bei jeder Gottheit, die sie gerufen hatte. Fea, die keltische Göttin mit den drei Gesichtern. Anubis, Gott des Todes. Hades, Herr der Toten. Luzifer, Abtrünniger Gottes. Satan, wenn ich mich richtig an meine katholische Erziehung erinnerte. Wenn die Geschichten über ihn stimmten, verstand ich nicht recht, warum er auf unserer Seite stehen sollte. Die kleinen Härchen in meinem Nacken hatten sich aufgestellt. Ich redete mir ein, dass ich die Wesen, die Bella eingeladen hatte, nicht fürchten musste. Im Grunde war ich ja selbst tot. Trotzdem konnte ich die bösartige Wolke, die mich zu umgeben schien, nicht ignorieren. Eine Million Finger schienen aus der Dunkelheit nach mir zu greifen und sich um meinen Hals zu legen, mir die Luftröhre und meine Arterien abzudrücken. Ich dachte an Cyrus’ Klauen, die mir bei unserer ersten Begegnung in der Leichenkammer die Kehle aufgeschlitzt hatten und wollte nur noch wegrennen.
Auch Max schien sich nicht ganz wohlzufühlen. Seine Schultern waren angespannt, als ob er sich gerne den Nacken gerieben hätte, doch er hatte keine Hand dafür frei. Nathan bewegte sich, ein langes Bein kam unter der Decke hervor und rutschte über die Bettkante. Er murmelte etwas, wurde immer aufgeregter und seine Stimme klang immer eindringlicher. Doch erst als er sich auf den Laken hin- und herwarf und laut schrie, konnte ich verstehen, was er sagte. Es war ein Gebet zum Erzengel Michael.
„Das wird ihnen nicht gefallen“, flüsterte Max, als ob dieGottheiten um uns herum ihn nicht hören könnten.
„Er ist besessen“, erinnerte sie ihn, oder vielleicht auch die Geister. „Er beleidigt sie nicht wissentlich.“ Bella erhob die Stimme, um Nathans inbrünstiges Gebet zu übertönen. „Wir bitten ergeben um die Loslassung der Seele von Marianne Galbraith, die durch das Sakrament der Ehe mit der Seele dieses Mannes vereint ist.“
Ein kalter Stich fuhr mir bei ihren Worten durchs Herz. Vereint mit seiner Seele. Eine solche Verbindung erschien mir so viel stärker als das Blutsband. Wenn mein Herz zerstört wurde, verband Nathan nichts mehr mit mir. Marianne war vor Jahren gestorben, doch ihre Verbindung zu ihm war immer noch so stark, dass sie seine Gedanken kontrollierte. Das Band zwischen ihnen war so stark, dass es sie von den Toten zurückrufen konnte.
Letztendlich war mein Blutsband zu Nathan der Verwesung anheimgegeben. Die menschliche Seele – sie war unsterblich. Am liebsten hätte ich mich übergeben.
„Ich brauche jetzt Nathans Zustimmung“, erinnerte Bella Max.
Er stammelte und schaute zu mir, dann zu seinem Freund, der sich in Panik auf dem Bett wand. „Bella, ich bin mir nicht mehr so sicher. Carrie sieht gar nicht gut aus …“
„Du bist hier, um an seiner Stelle die Zustimmung zu diesem Ritual zu erteilen. Das ist deine einzige Funktion in diesem Kreis. Wenn du das nicht tun kannst, dann solltest du gehen!“, fuhr Bella ihn an. Ihre Augen blitzten hart und wütend, aber ihre Hände zitterten. Sie hatte
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