Besessen
Zentimeter weit offen. Er schloss sie und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. „Ich werde dich wohl nie loswerden.“
„Entschuldige mal?“ Ich legte die Fäuste in meine Hüften. „Was zum Teufel soll das denn heißen?“
Ein trauriges Lächeln erschien auf seinen vollen Lippen. „Nimm es nicht persönlich. Früher hätte ich alles getan, damit du bei mir bleibst. Aber ich bin jetzt ein Mensch.“
„Und die Leute um dich herum sind es nicht“, beendete ich den Gedanken für ihn.
„Ich werde nie von diesem Leben wegkommen. Das Blut und der Sex und der Horror. Ich wusste, dass wir miteinander schlafen würden. Es war nur eine Frage der Zeit. Und ich wusste genau, was es bedeutet, wenn wir es tun. Ich habe dem Teil in mir nachgegeben, gegen den ich ankämpfen sollte.“ Auf der winzigen Fläche am Ende des Betts ging er auf und ab, nicht mehr als drei Schritte, und legte die Fingerspitzen an seine Lippen. „Ich hätte dich einfach in der Wüste töten und verschwinden können.“
„Das ist ja eine reizende Vorstellung.“ Ich äugte hinüber zu der Nagelfeile, die an der Kante des Schreibtischs lag. Wenn er mich angreifen wollte, konnte ich sie als Waffe benutzen. Du wirst mit ihm auch ohne Waffe fertig. Du bist ein Vampir.
Er räusperte sich und sah tatsächlich so aus, als bereue er, was er soeben gesagt hatte. „Es tut mir leid, ich wollte dich nicht beleidigen. Es ist nur die Wahrheit. Ich hätte neu anfangen können, ein frischer Start. Ich hätte alle die Dinge tun können, die ich mir wünschte, als ich zum ersten Mal ein Mensch war.“
„Was hast du dir gewünscht?“ Ich nahm an, dass der Souleater seinen verderbten Einfluss auf seinen Sohn schon recht früh ausgeübt hatte. Dass Cyrus einmal eigenständige Wünsche und Bedürfnisse gehabt haben könnte, erschien mir unmöglich.
Er wusste genau, was ich dachte. „Mein Vater wurde erst dann so machthungrig, als er sich auf die Seite seines eigenen Schöpfers geschlagen hatte.“
„Was hast du dir gewünscht“, wiederholte ich leise.
Eine ganze Weile sagte er gar nichts. Er war nicht mehrbei mir, nicht mehr hier in meinem Zimmer. Der in die Ferne schweifende Blick in seinen Augen ließ darauf schließen, dass er fünf Jahrhunderte in die Vergangenheit gereist war. „Ein Bauer weiß, dass er sich nicht mehr als ein erträgliches Leben und einen leichten Tod wünschen darf. In meinen wildesten Fantasien besaß ich mein eigenes Haus und ein echtes Bett. In Wirklichkeit musste meine erste Frau die Hochzeitsnacht auf dem gestampften Lehmboden der Hütte meiner Familie verbringen, und meine Brüder, ihre Ehefrauen und Vater lagen kaum einen Fuß von uns entfernt.“
Bitter lachte er vor sich hin. „So war es das damals, es gab nichts anderes. Aber ich war ein unbeständiger Träumer, genau wie mein Vater. Deshalb haben wir es wahrscheinlich so viele lange Jahre miteinander ausgehalten.“
„Hattest du Kinder?“ Als ich sein Zögling war, hatte er mir nur das gesagt, was ich wissen musste – genauer gesagt, er hatte mir das gesagt, von dem er meinte, dass ich es wissen müsste. Über seine menschliche Familie hatten wir nie gesprochen.
„Nein. Ich wollte Kinder. Und es war gewiss nicht so, dass ich meinen ehelichen Pflichten nicht nachkam. Aber sie wurde nie schwanger.“ Seine Augen strahlten ein wenig, als er seine Frau erwähnte, dann verdunkelten sie sich wieder. Er erinnerte sich wohl, wie lange das alles her war, wie unveränderlich die Vergangenheit vor seinem inneren Auge erschien. „Sie hat sich das Leben genommen, nachdem ich sie verwandelt hatte. Darum wollte ich nicht mehr in dieses Leben hineingezogen werden. Das hier hätte meine zweite Chance sein sollen.“
Die Ähnlichkeit zwischen seinen Worten und dem, was Nathan letzte Nacht gesagt hatte, war unheimlich.
„Die Chance hast du doch immer noch“, sagte ich, dochich sprach nicht nur zu ihm. „Du kannst alles haben, was du willst, wenn du nur das hier durchstehst.“
„Ich habe über das Ritual nachgedacht, das Bella durchführen wird …“ Er sprach nicht weiter. „Es war ein idiotischer Gedanke.“
„Sag mir, was du gedacht hast.“ Ich hing an dem Menschen Cyrus und wollte ihn ermutigen. Vielleicht war es auch eine Art Vergleichstest. Wenn er das alles überleben konnte, dann konnte ich es ebenfalls. Letztendlich waren schon seltsamere Dinge passiert.
„Wenn Nathan nur mit sich selbst Frieden schließen muss, damit es ihm wieder gut geht, dann sollte
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