Besser verhandeln - Das Trainingsbuch
Frauenzimmer. Von einem so kindischen Geknutsche hat noch kein Mädel ein Kind bekommen. Ich sah Mimi in die Augen. »Es ist wirklich wahr, Mimi«, sagte ich gelassen. »Du weißt, ich würde dich nie anlügen.«
Jetzt lächelte auch sie. »Ich hab ihr's nie wirklich geglaubt, Danny. Sie erfindet ständig solche Geschichten.« Sie glitt leicht über meine Hand. »Ich bin froh, daß sie heiratet und von hier wegkommt. Ich mag sie nicht mehr.«
Wir sahen wieder stumm auf die Straße. Es wurde dunkel, und die Straßenbeleuchtung flammte plötzlich in strahlender Helligkeit auf. »Die Tage werden schon kürzer«, sagte ich.
Sie antwortete nicht und ich sah sie an. Wie sie hier im Lichte der Straßenbeleuchtung saß und das schwarze Haar ihr über die Schultern flutete, sah sie beinahe noch wie ein Kind aus. Obwohl sie um zwei Jahre älter war als ich, fü hlte ich mich bedeutend älter. Vielleicht machten es ihre Gesichtszüge. Sie hatte zarte Knochen, und ihr Mund sah völlig unberührt aus. Ich fragte mich, ob sie je geküßt worden ist. Ich meine wirklich geküßt. Doch dann verscheuchte ich hastig diesen Gedanken. Meine Schwester war nicht so - sie gehörte nicht zu dieser Sorte Mädchen.
»Papa und Mama sehen müde aus«, sagte ich, um das Thema zu wechseln. »Es muß in der Stadt sehr heiß gewesen sein.«
»Es ist nicht nur das, Danny«, antwortete sie. »Es steht nicht gut um uns. Das Geschäft geht miserabel und wir sind die Rechnungen überall schuldig. Vor genau einer Woche hätte die Milchgesellschaft beinahe ihre Lieferungen eingestellt. Es ist ein wahres Glück, daß ich im A&S eine Halbtagsbeschäftigung bekommen hab; sonst stünde es noch weit ärger.«
Ich riß die Augen auf. Ich hatte zwar gewußt, daß es mit uns nicht zum besten bestellt war, es wäre mir aber nie eingefallen, daß es so schlimm um uns stand. »Das hab ich nicht gewußt«, sagte ich. »Mama hat mir nie was davon geschrieben.« Sie sah mich sehr ernst an. »Du weißt ja, wie die Mama ist. Sie würde nie über so etwas schreiben.«
Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich griff verlegen in die Tasche und holte eine Zigarettenpackung hervor. Ich steckte mir eine Zigarette in den Mund und war im Begriff sie anzuzünden, als Mimi mich unterbrach. »Mir auch, Danny«, sagte sie.
Ich hielt ihr die Packung hin. »Ich hab nicht gewußt, daß du rauchst«, sagte ich überrascht.
»Und ich hab wieder nicht gewußt, daß du rauchst«, entgegnete sie. Sie sah ins Haus hinein. »Aber wir müssen sehr vorsichtig sein, damit uns die Mama nicht erwischt, sonst kriegen wir's alle beide.«
Wir lachten und verbargen unsre Zigaretten in den Handhöhlen.
»Ich bin froh, daß ich im Sommer die Schule beende«, sagte Mimi, »dann bekomm ich vielleicht eine gute Anstellung und kann wirklich helfen.«
»Steht's tatsächlich so schlimm, wie?« fragte ich nachdenklich. »Ja«, antwortete sie unumwunden. »Mama spricht sogar schon davon, das Haus hier aufzugeben. Wir können die Zinsen für die Hypothek nicht mehr aufbringen.«
»Das dürfen wir nicht!«
Jetzt war ich aufrichtig erschrocken. Doch nicht mein Haus!
Ich konnte es einfach nicht glauben.
Mimi zuckte ausdrucksvoll mit den Achseln. »Ob wir's tun dürfen oder nicht, hat nichts damit zu tun. Wir haben einfach kein Geld.« Ich schwieg einen Moment. Ich war kein Kind mehr und hatte auch nie wirklich geglaubt, daß es mein Haus sei, wie Papa einmal gesagt hatte, aber ich wollte auch nicht gezwungen werden, von hier auszuziehen. Irgendwie quälte mich der Gedanke, daß andre Leute in diesem Haus leben, eine andre Familie in unsrer Küche essen, jemand andrer in meinem Zimmer schlafen sollte. Ich war gern hier und wollte nicht weg.
»Vielleicht wir's gut, wenn ich aus dem Gymnasium austräte und mir eine Stelle suchte«, sagte ich nach einiger Überlegung. »Nein, Danny, das darfst du nicht!« rief Mimi, heftig protestierend. »Du mußt das Gymnasium beenden. Mama und Papa haben ihr Herz daran gehängt.« Ich schwieg.
»Mach dir keine Sorgen, Danny«, sagte sie tröstend und legte mir ihre Hand auf die Schulter. »Es wird sich noch alles wunderbar lösen. Ich weiß es ganz bestimmt.« Ich sah sie hoffnungsvoll an. »Glaubst du's wirklich?« Sie lächelte. »Natürlich.« Damit stand sie auf und warf ihre Zigarette in den Rinnstein. »Ich geh jetzt lieber hinein und helfe beim Geschirrspülen, sonst gibt's mit der Mama noch Krach.« Ich hoffte, daß sie mit ihrem Optimismus recht behielt.
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