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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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mir keine Ausrede mehr eingefallen. Obwohl ich nicht die geringste Lust hatte, wieder mal einen Tag zu opfern, war ich an einem Samstag für zwei, drei Stunden in die Klinik gefahren, um meinen Bruder zu besänftigen und danach ein paar Monate nicht an ihn denken zu müssen.
    Wir hatten in seinem Zimmer zusammengesessen. Vor der Tür war eine Wache postiert gewesen. Damals war es mir so vorgekommen, als litte er unter einem regressiven Schub. Er wirkte unnahbar, verbittert und angespannt.
    »Jeremy, nervt dich was?«
    »Ja, du. Du kommst in dieses stinkende Höllenloch und haust wieder ab, wie es dir gerade passt, während ich hier festsitze.«
    Ich schaute mich in seinem Zimmer um: spezielle Möbel, mit denen man sich nicht verletzen konnte, ein Spiegel aus einer Spezialfolie, die verzerrte Bilder lieferte, Wände und Boden aus einem gummiartigen Material, das auch gern auf Kinderspielplätzen verwendet wird.
    »Ich spreche doch nicht von diesem Zimmer, Carson!«, herrschte er mich an. »ICH STECKE HIER DRINNEN FEST!«
    Er schlug sich mit der Hand seitlich gegen den Kopf.
    Fester und immer fester. Er drosch auf seinen Kopf und sein Gesicht ein, als gehörten sie einem verhassten Rivalen. Als aus seiner Nase und seinem Ohr Blut quoll, schlang ich die Arme um ihn und warf mich mit ihm auf den Boden, während Jeremy laut schrie, dass er rausmusste, und ich aus voller Kehle nach den Wachen rief.
    Sechs Aufseher waren nötig gewesen, um meinen Bruder ruhigzustellen und zu fixieren. Als ich mir den Schweiß vom Gesicht wischte und den Raum verließ, rief er mir hinterher.
    »CARSON!«
    Wie ein zusammengeschnürtes Paket lag Jeremy auf dem Boden. Man hatte ihm ein Beruhigungsmittel gespritzt, dessen Wirkung langsam einsetzte. Ich kehrte in sein Zimmer zurück, in dem es nach Wut, Hass und Verzweiflung roch.
    »Was ist, Jeremy?«
    Seine Augen wurden glasig, seine Zunge schwer. »In dem Moment, in dem der alte Sack seinen letzten Atemzug tat, wurde jemand in Sicherheit gebracht, richtig?«
    Bis auf Vangie wusste niemand, dass Jeremy und ich verwandt waren. Für die Aufseher redete er nur wirres Zeug. In Wahrheit sprach er über den Tod unseres Vaters und dass er mich gerettet und vor Schlimmerem bewahrt hatte.
    »Ja«, flüsterte ich.
    Er verzog die Lippen zu einem kämpferischen Grinsen, das mich an das letzte Aufblinken einer Glühbirne erinnerte, bevor sie kaputtging. Und dann verstellte er seine Stimme und imitierte perfekt die unseres Vaters.
    »Ich habe dir das Leben geschenkt, Carson …«, zischte Jeremy, ohne die Worte zu sprechen, mit denen mein Vater diesen Satz immer beendet hatte.
    »… und ich kann es dir auch wieder nehmen.«
    Hatte Jeremy mir an diesem Tag unterschwellig gedroht?
    »Sind Sie noch da, Detective Ryder?«, drängte sich Waltz’ Stimme in meine Überlegungen.
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, dass ich gerade den Lieutenant angerufen habe und Sie sich besser wappnen, denn sie wird Sie in die Zange nehmen.«
    Meine Gedanken überschlugen sich. Ich ging kurz nach draußen und zog mir am Automaten eine Flasche Wasser. Ein paar Minuten später kam Folger mit Bullard, Cluff und noch ein paar Bullen hereingerauscht. Sie lief im Büro auf und ab, befragte Waltz zu der Begegnung und warf mir gelegentlich einen fragenden Blick zu, woraufhin ich zustimmend nickte. Wie Waltz prophezeit hatte, stellte sie genau die richtigen Fragen. Nach einer Weile drehte sie sich um und knöpfte sich mich vor.
    »Was Ridgecliff Ihnen bestellen ließ, Ryder, dieses Shaw-Zitat, klingt doch ganz so, als wollte er sich ein Späßchen machen. Haben Sie sich mit diesem Irren tatsächlich so gut verstanden, dass Späße an der Tagesordnung waren?«
    »Späße sind ein bewährtes Mittel, wenn man zu jemandem einen Draht bekommen will. Und Ridgecliff kennt massenhaft Zitate. Er verbringt einen Großteil seiner Zeit mit Lesen.«
    »Und was sollte die Anmerkung, dass Sie der Held zu Land und zu See sind?«
    »›Stets der Held zu Wasser und zu Land‹ muss es heißen«, korrigierte Waltz mit Blick auf seine Notizen.
    »Ja, genau.«
    Ich zuckte mit den Achseln. »Land und See könnten sich darauf beziehen, dass ich draußen am Golf wohne. Vermutlich habe ich mal einen meiner Fälle erwähnt, wo ich von einem Boot gerammt wurde, als ich mit dem Kajak auf dem Wasser war. Glücklicherweise habe ich es an Land geschafft und konnte den Fall lösen. Und ich denke, Held dürfte wohl eher sarkastisch gemeint sein.«
    »Ist das nicht

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