Bestialisch
meine Latexhandschuhe übergestreift hatte, nahm ich sie in Empfang. Da ich solche Schachtelpuppen aus Geschenkkatalogen kannte, wusste ich, dass es sich dabei um einen Satz handelte. Dieses Püppchen war schätzungsweise fünfzehn Zentimeter groß, und als ich es aufschraubte, musste ich feststellen, dass es sich nur um ein Exemplar handelte.
»Das ist eine von diesen Steckpuppen«, sagte Pelham, »die man in Russland überall kaufen kann.«
Ich musterte das comichafte Gesicht. »Warum hat sie keinen Mund?«, wollte ich wissen.
»Das finde ich auch komisch«, meinte Wensley. »Und Detective Waltz meinte, ich solle mich melden, wenn mir etwas komisch vorkommt.«
»Kein Mund?« Waltz zog ebenfalls Latexhandschuhe an. »Kann ich sie mal haben?«
Waltz inspizierte den fleischfarbenen Farbklecks unter der Nase. »Der Mund wurde übermalt. Da hat sich aber jemand richtig Mühe gegeben und eine Farbe gewählt, die passt.«
»Haben Sie russische Anhänger, Ma’am? Oder Feinde?«, fragte ich.
Pelham schüttelte den Kopf. »Ich war dreimal in Russland. Einmal zum Vergnügen und zweimal anlässlich eines internationalen Handelstreffens. Da setzen sich verschiedene Repräsentanten zusammen und geben Plattitüden von sich. Russland oder den ehemaligen Blockstaaten der früheren Sowjetunion gegenüber habe ich stets eine eindeutige Haltung vertreten.«
»Ich finde diese Puppe irgendwie gruselig«, fand Wensley.
Waltz und ich tauschten Blicke aus. Er war derselben Meinung. Und damit waren wir schon zu dritt.
»Ich will, dass von allen, die die Puppe angefasst haben, Fingerabdrücke genommen werden«, sagte Waltz. »Und dass die Spurensicherung sie unter die Lupe nimmt.«
»Warum wurde der Mund übermalt?«, sinnierte ich laut.
»Damit sie nicht mehr sprechen kann.«
In dem Moment wandten wir uns alle zu Pelham um. Sie öffnete den Mund, um noch etwas zu sagen, lehnte sich stattdessen jedoch an die Wand und schüttelte nur den Kopf.
*
Mit einem Pappbecher voll Kaffee in der einen Hand und zwei Einkaufstüten in der anderen überquerte Jeremy Ridgecliff die Canal Street. Er hatte Elektronikfachgeschäfte, Gourmetläden und Import-/Exportgeschäfte abgeklappert. New York bot wirklich etwas für jeden Geschmack.
»Hallo, Sir. Bleiben Sie sofort stehen.«
Als er sich umdrehte, sah er einen dickwangigen Polizisten in Uniform, der den Kopf aus dem Fenster eines blauweißen Streifenwagens reckte. Der Bulle Mitte fünf- zig spähte über seine Sonnenbrille. Seine braunen Augen erfassten jede Nuance, jedes Detail. Dass ein Fremder es wagte, ihn so unverhohlen zu taxieren, erregte Jeremys Zorn. Im Geiste malte er sich aus, wie der Kopf des Polizisten von einer schweren Axt gespalten wurde. Mit einem einzigen Schlag. Das Bild und die dazugehörigen Geräusche besänftigten Jeremy.
»Que?«, fragte Jeremy leise und trat auf den Bürger- steig.
»Bleiben Sie bitte stehen, Sir.«
Jeremy hielt inne und deutete auf seine reglosen Füße, als wollte er sagen: So?
»Ja, verflucht. Si, meine ich.« Als der ältere und übergewichtige Bulle ausstieg, klapperten die Gerätschaften an seinem Ledergürtel. Sein jüngerer Kollege, der auf dem Fahrersitz saß, verglich Jeremy mit einem Foto auf dem Computerbildschirm im Fahrzeug und ließ die Hand langsam nach unten wandern. Jetzt zieht er gleich seine Waffe, dachte Jeremy.
Der Fahrer stieß die Tür auf, stieg aus und spähte über die Kühlerhaube. Seine Hand hing lässig neben der Waffe. Der übergewichtige Bulle ging auf Abstand zu Jeremy.
»Stellen Sie bitte den Becher auf den Boden, Sir.«
Jeremy täuschte Verwirrung vor. Die Situation machte ihn so wütend, dass sich ihm der Magen verkrampfte. Der Bulle deutete auf den Becher, anschließend auf den Boden. Stellen Sie das Ding jetzt ab! Jeremy tat, was man von ihm verlangte, ging in die Knie, stellte den Becher auf den Gehweg und richtete sich wieder auf. Dabei achtete er darauf, dass seine Hände nicht zu nah an seinem Körper waren. Von Carson wusste er, dass Bullen es nicht leiden konnten, wenn die Griffel in die Nähe der Taschen kamen.
»Könnte ich jetzt mal Ihren Ausweis sehen?«, forderte der Bulle ihn auf. »Aber ganz langsam!«
Die Axt in Jeremys Kopf schlug wieder zu.
»Hausweiß?«, fragte Jeremy mit entgeisterter Miene. »0, Ausweis. Um momento por favor. Está em meu revestimento.«
Als sich Jeremys Hand der Jackentasche näherte, fixierte der Bulle sie wie ein Adler eine Feldmaus. Jeremy fischte seinen
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