Bestiarium
war.
Château? Ihr Bild? Anfangs war die Bedeutung nicht klar, und Margaret reagierte nicht. Aber dann kam ihr die Erkenntnis. Wie die Gewinnnummer einer Lotterie, die jedoch nicht mehr gültig war, wie wertloses Konföderiertengeld. Zu viele Jahrhunderte waren verstrichen, als dass vage Hinweise auf eine Familienzugehörigkeit noch eine Bedeutung hatten oder tatsächlich zutrafen.
»Martin, erzähl mir genau, was hier los ist. Und was ist das?« Sie war bis zu dem wirren »Garnknäuel« am Ende der Unterschriftenliste gelangt. Halbe Worte, Buchstaben, Zahlen, Symbole, die mit einer Art gotischem Holzstock gedruckt waren und an den Kanten verschwammen wie nasse Tinte auf Japanpapier und einen linguistischen Rubik's Cube oder ein Vier-Farben-Problem totaler Unverständlichkeit erzeugten. »Das verstehe ich nicht.«
»Das stammt aus den Achtzigern oder Neunzigern des 18. Jahrhunderts«, sagte Martin geheimnisvoll. »Such den Namen Gruuthuse. Wie immer er ausgesprochen wird. Siehst du ihn?«
»Ja. Gruuthuse.« Da war er, inmitten einer Kette seltsamer linguistischer Fragmente, die nicht durch Zwischenräume voneinander getrennt wurden, ein einziges langes Wort, jedoch vier Mal so lang wie der Ausdruck supercalifragilisticexpealidocious aus ihrer Kindheit. »Das Haus ist ein Museum. Ich kenne einen der Kuratoren - Luis Adornes, eine alte Familie aus Genua, die seit Jahrhunderten in Brügge ansässig ist. Ich hatte vor zwei Jahren für sie die Echtheit einiger Landkarten aus der Renaissance überprüft. Erinnerst du dich?«
Martin hatte es vergessen bei der Vielzahl illustrer Klienten, von denen seine Frau Nachrichten erhalten hatte, nur weil sie die strahlende, aufregende Persönlichkeit war, als die er sie vom ersten Tag ihres Kennenlernens erlebt hatte. Es erfüllte ihn mit freudiger Genugtuung, dass andere sie genauso bewunderten, wie er es tat.
Nun bewunderte er sie noch mehr.
Sein iPhone vibrierte.
»Lies mal.«
Margaret griff nach dem beharrlichen kleinen Quälgeist, der in dem BMW in eine spezielle Halterung geklemmt war.
»Da steht: straitbroogunfire.«
Martin hatte es nicht richtig verstanden. »Noch einmal.«
Margaret las langsam vor.
Nach etwa achthundert Metern folgte eine Ausfahrt, die Martin benutzte. Er lenkte den Wagen an den Straßenrand und betrachtete selbst das kleine Display. Jetzt verstand er. Es konnte kaum noch einen Zweifel geben.
KAPITEL 44
E s geht um Folgendes.« Martin begann zu erklären, dass der Leitfaden - das dünne Buch, das seine Frau in der Hand hielt - laut James nur eine Art Appetitanreger für das war, was sie angeblich in Brügge, oder »broog«, wie James eilig mit seinen dicken Gärtnerfingern auf dem iPhone getippt hatte, erwartete. Gewehrfeuer. Fahrt direkt nach Brügge und zum Gruuthuse.
Haben sich die Wilderer Zugang zum Schloss verschafft? Sollen wir nicht lieber direkt zurückfahren und helfen? Aber wie? Ich bin kein Elitesoldat und Margaret auch nicht. James macht sich anscheinend große Sorgen wegen des Buchs. Vielleicht haben die Wilderer es eigentlich darauf abgesehen? Aber das hieße doch, dass das Buch sich im Château befindet und nicht in Belgien. Er ging in Gedanken sämtliche Möglichkeiten durch, während er mit hundertsechzig Stundenkilometern nach Nordwesten in Richtung Brügge raste. Mehrmals dachte er daran, umzukehren und zu James zurückzufahren. Doch die Nachricht auf dem iPhone war eindeutig gewesen, daher behielt er den Fuß auf dem Gaspedal.
Margaret nahm die sensationelle Information mit Vorbehalt auf. Wenn das, was ihr Mann erzählt hatte - oder genauer: wenn das, was Onkel James angedeutet hatte -, den Tatsachen entsprach - und allem Anschein nach stand das außer Zweifel -, müsste die Kunstgeschichte völlig neu geschrieben werden. Noch wichtiger war, dass sie in eine Familie hineingeheiratet hatte, deren Verbindungen, was ihren Adelsstand betraf, jenseits aller Vorstellung lagen. Und da war noch etwas anderes, eine verborgene Andeutung, die eine Art biblische Bedeutung des Châteaus nahelegte, die Martins Vater Edward und sein Bruder James bislang hatten geheim halten können. Kein Wunder, dass es Leute gab, die wie wild hinter dem Geheimnis und dem Vermögen her waren. Und dem äußeren Anschein und allem nach zu urteilen, was Martin bisher beobachtet und gehört hatte, fand nun in diesem wundervollen Naturpark ein regelrechter Krieg statt, in dem es darum ging, wer sich am Ende als Eigentümer einiger seltener Tiere
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